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Die Tochter der Ketzerin

Die Tochter der Ketzerin

Titel: Die Tochter der Ketzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathleen Kent
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aus: »Das ist das Haus eures Richters Jonathan Corwin.« »Das ist das Haus eures Richters John Hathorne.« »Das ist das Versammlungshaus.« Er klang, als hätten wir uns nur verlaufen und uns nach dem Heimweg erkundigt. Kurz bevor wir nach Norden in die Prison Lane einbogen, zeigte er mit dem Finger und verkündete: »Und hier haben wir das Haus des ehemaligen Gouverneurs Simon Bradstreet.« Da kam mir in den Sinn, wie ich mit meiner Mutter die Gedichte seiner Frau Anne Bradstreet gelesen hatte. Allerdings konnte ich mich nicht an die hoffnungsvollen Stellen erinnern, nur an die, die von Verlust handelten.
    Zu Asche worden ist mein Glück, Nie wieder fällt darauf mein Blick. Kein Gast wird mehr die Muße haben, Sich fein an deinem Tisch zu laben. Zu plaudern von der alten Zeit, Bei fröhlicher Geselligkeit. Kein Kerzlein spendet dir sein Licht. Des Liebsten Stimme hörst du nicht. Wirst ewig so in Schweigen liegen …
    Wenn wir geboren werden und die Hebamme uns aus dem Mutterleib ans Licht der Welt holt, erkennen wir unser neues Reich zuerst am Geruch. Neugeborene sind beinahe blind und haben nicht die Kraft, ihre Gliedmaßen zu beherrschen. Und dennoch brauchen sie nur fünf Minuten, um zu lernen, den Kopf mit zuckendem Näschen zu der mit Milch gefüllten wartenden Brust zu drehen. Als Sheriff Corwin Tom und mich die Treppe hinunter zu den Zellen führte, war es ebenfalls der Geruch, der uns in unserem neuen Zuhause willkommen hieß.
    Es war ein Gefühl, als kröche man mit dem Kopf zuerst in einen Fäustling, der erst im Regen liegen gelassen und dann, fest verpackt, der heißen Sonne ausgesetzt worden war. Der durchdringende Fäulnisgeruch war so überwältigend, dass mir die Augen tränten. Allerdings stank es nicht nur nach menschlichen Ausscheidungen, sondern auch süßlich nach verdorbenen Lebensmitteln und nach etwas, das eigentlich nicht mehr lebt, aber auch noch nicht ganz gestorben ist: Moder, Kupfer, Morast, tote Katzen, Schilf und Moos. Die Steinstufen waren kalt, und mir rutschten immer wieder die Füße weg, als ich mich hinuntertastete. Mit der einen Hand hielt ich mich an dem Strick fest, der als Geländer diente, mit der anderen drückte ich mir die Schürze vor die Nase. Ich hörte, wie Tom hinter mir würgte und stehen blieb, doch der Sheriff versetzte ihm einen Klaps auf die Schulter und befahl ihm, weiterzugehen. Als wir die letzte Stufe erreichten, war es dunkel und still, und zwar so still, dass ich zunächst glaubte, wir seien allein in diesem Keller. Bald konnte ich durch die eisernen Gitter die kläglichen Lichtkegel einiger Kerzen sehen. Ich hörte das raue Husten eines Mannes und kurz darauf das Räuspern einer Frau. Dann ertönte ein Rascheln, als Körper sich auf Stroh bewegten und auf uns zukrochen.
    Nachdem meine Augen sich an das Dämmerlicht gewöhnt hatten, stellte ich fest, dass wir in einem langen Flur standen. Rechts befand sich eine lange, mit Gitterstäben versehene Zelle, links gab es zwei kleinere. Zwischen den Gitterstäben erkannte ich die Fingerknöchel vieler Hände, die sich im Schein der Laterne des Sheriffs scharf von den dunklen Zellen abhoben und, abgeteilt durch die Eisenstangen, fast körperlos wirkten. Der Sheriff zog einen Schlüsselring aus der Jacke und schloss die Holztür der längeren Zelle auf, die sich nach außen öffnete. Dann bedeutete er uns einzutreten.
    »Junge, du kommst in die Frauenzelle«, sagte er zu Tom. »Die Männerzelle ist nämlich voll. Aber wenn du die Frauen belästigst, landest du am Pranger. Hast du verstanden, Junge?«
    Drinnen in der Zelle war der üble Geruch noch stärker als auf der Treppe. Die Luft war feuchtkalt. Ich wich ein paar Schritte zurück, wobei ich dem Sheriff auf die Zehen trat. Doch bevor er mir einen Stoß versetzen konnte, nahm Tom mich an der Hand und führte mich in unsere Zelle. Rasch fiel die Tür hinter uns ins Schloss und wurde sogleich zugesperrt. Dann hörten wir wie Sheriff Corwin sich entfernte und die Treppe hinauf in die obere Etage stieg. Lange standen wir, fest aneinandergeklammert, da und wagten nicht, uns zu rühren, bis uns das Licht, das durch die winzigen Schlitze in den Wänden hereindrang, verriet, wie hoch und breit unser neues Zuhause war. Da der Boden mit Stroh bedeckt war, herrschte ein ständiges Rascheln, wenn die Menschen sich bewegten. Ganz langsam konnten wir sie erkennen. Erst die Füße, dann die Beine, danach die Körper und zu guter Letzt die Gesichter der Frauen. Es waren

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