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Die Tochter der Ketzerin

Die Tochter der Ketzerin

Titel: Die Tochter der Ketzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathleen Kent
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…«
    Unvermittelt sprang Margaret auf. »Vater, es ist Zeit zum Schlafengehen«, sagte sie. Dann packte sie mich an der Schürze und zog mich in unser Zimmer. Kurz darauf kratzte Andrew an der Tür und fragte, ob er neben uns auf dem Boden schlafen dürfe. Lange hörten wir den Onkel noch durch den Raum stolpern, bis er sich schließlich mit einem lauten Aufstöhnen neben dem Kamin auf den Boden legte. Ich schlief nur unruhig und träumte von schauerlichem Blutvergießen. In einer meiner nächtlichen Visionen sah ich meinen Vater, die Axt über der Schulter, zum Schweinestall gehen. Er suchte ein ausgewachsenes borstiges Schwein aus, das neben seiner hünenhaften Gestalt winzig wirkte, und schleppte das menschenähnliche Schreie ausstoßende Tier in den Schatten der Scheune. Dann hörte ich Gepolter, ein Sausen durch die Luft und schließlich das schmatzende Geräusch von Metall, das Fleisch durchtrennt. Eines Tages Anfang März saßen Margaret und ich Knie an Knie und tief vergraben im Stroh neben dem Schweinekoben. Ein scharfer Geruch nach geschmolzenem Kupfer und noch etwas, das ich nicht erklären konnte, lag in der Luft. Mich erinnerte er an zu lange abgehangenes Pökelfleisch. Draußen wehte der Wind heftig gegen die Scheune, sodass sich immer wieder Schneeflocken durch die Ritzen verirrten. Die Sau hatte gerade geworfen, und nun beobachteten wir die Ferkel, die sich quiekend um ihre geschwollenen Zitzen drängten, sich gegenseitig schubsten und einander mit ihren Schnauzen wegzuschieben versuchten. Es waren insgesamt sechs, und wir machten uns einen Spaß daraus, sie nach Bösewichten aus der Bibel zu benennen. Das dickste graue Ferkel hieß Goliath. Ein kleines, geflecktes, das das gierigste war, wurde Judas getauft. Dann kamen Pilatus, Herodes und Pharaoh. Das letzte war ein hübsches Weibchen. Still saßen wir da. Ich hatte den Kopf an Margarets Schulter gelehnt und spielte träge an einer ihrer Haarsträhnen herum, die ihr aus der Haube gerutscht war.
    »Schade, dass dein Vater nicht da ist. Ihm würde bestimmt der richtige Name für das kleine Schweinchen einfallen.«
    Während der letzten Winterwochen hatte der Onkel wieder zu seiner gutmütigen Art gefunden und war lange nicht mehr zornig nach Hause gekommen, obwohl er immer noch häufig nachts fortblieb. Wenn er zurückkehrte, roch sein Atem nach Starkbier. Margarets Miene war nachdenklich, doch sie antwortete nicht. »Wohin reitet dein Vater denn, wenn er uns verlässt?«, fragte ich, weil ich das Schweigen nicht aushielt.
    Als ich spürte, wie Margarets Schulter unter meiner Wange erstarrte, bereute ich meine Neugier sofort. »Vater reitet in die Stadt, um die Kranken zu behandeln«, erwiderte sie schließlich. Aber weil sie ihre Schuhe und nicht mein Gesicht ansah, wusste ich, dass sie nicht die Wahrheit sagte.
    »Was hältst du davon, das Schweinchen Kurtisane zu nennen?«, schlug ich vor. Ich hatte den Namen bei den abendlichen Lesungen aus der Bibel aufgeschnappt und fand, dass er sehr gefährlich klang. Er erinnerte mich an Moschus und Lilien aus dem Land Ur, und es gefiel mir, einem Schwein einen so ausgefallenen Namen zu geben. Doch Margaret verzog unwillig das Gesicht und machte sich los. »Kurtisane ist kein Name, sondern eine Bezeichnung für eine bestimmte Art von Frauen.«
    »Was für Frauen denn?«, fragte ich, ein neues Geheimnis erahnend.
    »Von der allerschlimmsten Sorte. Wie kannst du nicht wissen, was eine Kurtisane ist?« Sie stand auf und klopfte sich mit heftigen Bewegungen das Stroh von den Beinen. »Eine Kurtisane ist eine Frau, die sich mit Männern einlässt, ohne mit ihnen verheiratet zu sein.« Als ich immer noch verständnislos den Kopf schüttelte, ergänzte sie: »Eine Frau, die in Sünde bei einem Mann liegt.«
    »In welcher Sünde denn?« Im Geiste zählte ich die Todsünden auf, die ich kannte: Völlerei, Faulheit, Verlogenheit …
    Sie beugte sich vor. »Flei-sches-lust«, zischte sie mir ins Ohr, wobei sie die einzelnen Silben scharf voneinander trennte. »Weißt du, was das ist?«
    Margaret formte eine Hand zu einem Ring, stieß den Zeigefinger der anderen hinein und bewegte ihn hin und her, bis sogar ich verstand, was sie meinte. Ich errötete, denn erst jetzt wurde mir klar, dass das, was ich so oft bei den Tieren in der Scheune beobachtet hatte, auch zwischen Mann und Frau geschah.
    Margaret setzte sich wieder und zog mein Ohr dicht an ihren Mund. »Soll ich dir ein Geheimnis verraten?«, erkundigte sie sich.

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