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Die Tochter der Ketzerin

Die Tochter der Ketzerin

Titel: Die Tochter der Ketzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathleen Kent
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»Weißt du, wie man diese Kurtisanen sonst noch nennt?« Als ich den Kopf schüttelte, lachte sie bitter auf. »Huren«, stieß sie keuchend hervor. Der scharfe Atemzug ließ das Wort so unheilverkündend und endgültig klingen wie eine Windböe, die die Kerze am Bett eines Sterbenden ausbläst. »Sie wohnen in Tavernen und lauern in Gasthöfen und Herbergen auf Männer. Dort nötigen sie ihnen Alkohol auf und tragen dabei schamlose Farben und kein Tuch über dem Mieder, um ihre Brust zu bedecken. Außerdem bemalen sie sich die Münder in derselben Farbe wie ihre Mösen und überschütten sich mit Parfüm.«
    Ich dachte an meinen Onkel, wie er, nach einem süßlichen, fremdartigen Duft riechend, durch die Wohnküche getaumelt war, und errötete wieder, als ich mir vorstellte, er könnte an seinem solchen Ort gewesen sein. Woher mochte Margaret nur dieses Wissen haben? Von der Tante ganz sicher nicht. »Geht der Onkel abends zu so einem Haus?«, fragte ich vorsichtig.
    Margaret pflückte wie beiläufig einen Heuhalm von meinem Rock und schwieg eine Weile, als sei sie nicht sicher, ob sie mehr preisgeben solle. »Eines Nachts bin ich ihm gefolgt«, sagte sie schließlich. »Es war an einem Abend im letzten Sommer. Ich habe ihn fortgehen hören, nachdem Mutter längst im Bett lag. Sie hatten gestritten, weil er so oft unterwegs ist. Wahrscheinlich dachten sie, dass Andrew und ich schon schliefen. Aber ich konnte nicht einschlafen. Mutter hat geschimpft, er solle doch gehen und bei seinen Huren einziehen, wenn er kein anständiger Ehemann sein könne.«
    Die tiefe Falte, die zwischen ihren Augen entstanden war, ließ sie schlagartig älter wirken. »Zu der Taverne sind es nur etwa drei Kilometer. Als ich mich angeschlichen und durch die Fensterläden geschaut habe, habe ich ihn gesehen. Vater war betrunken und saß mit einer Frau zusammen. Sie war gewöhnlich, überall quoll ihr das Fett heraus, und ihr Haar hatte die Farbe von angelaufenem Kupfer … Und ich habe Dinge gehört …« Auf ihren mattweißen Wangen entstanden zwei leuchtend rosafarbene Flecken. Doch ihre Augen waren stumpf und blickten ins Leere. »Vater hätte sich nie so benommen und so etwas gesagt, wenn die Frau ihn nicht verzaubert hätte. Also habe ich sie verflucht, damit sie noch vor Ablauf des Jahres stirbt.« Mit ernstem Gesicht und halb geöffneten Lippen wandte sie sich zu mir um. »Im letzten November hat sie sich mit den Pocken angesteckt und war kurz darauf tot.«
    Wie oft hatte ich den Onkel sagen hören, er könne eine Hexe mit einem Gegenzauber belegen. »Eine Hexe durch eine Zauberformel zu töten, das ist eine gute Tat«, lauteten seine Worte. Doch der Gedanke, dass Margaret so etwas begangen haben sollte - und sei es nur, um ihren Vater zu retten -, ließ ein Zittern aus meiner Mitte aufsteigen, und ich schlang schutzsuchend die Arme um den Leib. Denn wenn es stimmte, dass die Frau mit dem kupferfarbenen Haar den Onkel verhext hatte, reichten ihre Zauberkräfte offenbar bis über das Grab hinaus. Welche Erklärung gab es sonst dafür, dass er immer tiefer im Laster versank? Als Margaret die Hand nach mir ausstreckte, ließ ich zu, dass sie mich an sich zog. »Du musst mir versprechen, Sarah, dass du nie in Mutters Gegenwart fragst, wohin Vater geht. Es kränkt sie so«, flüsterte sie.
    Meinen Kopf an ihre Schulter gelehnt, wiegte sie mich wie ein kleines Kind, bis das schreckliche Beben aufhörte. Obwohl ich mich in diesem Moment ein wenig vor ihr fürchtete, machte sie dieses dunkle Geheimnis nur um so rätselhafter und auf prickelnde Weise fremdartig. Während wir die Scheune abschlossen und zum Haus zurückkehrten, einigten wir uns darauf, das letzte Ferkel Jezabel zu nennen.

    Ende März ist die Jahreszeit, die das grausamste Spiel mit uns treibt. Von einem Tag auf den anderen wird die Luft warm und feucht und verheißt das große Tauwetter. Doch kaum hat man die Türen aufgerissen und die dicken Mäntel und Wollsachen weggelegt, frischt ein eiskalter Wind auf, und die Welt versinkt erneut im Schnee. Es war während eines solchen trügerischen Gastspiels des Frühlings, dass der Onkel verkündete, Reverend Nason aus Billerica werde uns einen Besuch abstatten. Der Reverend, so sagte der Onkel, sei ein ausgesprochen angesehener und darüber hinaus auch ein hochgebildeter Mann. In zwei Tagen sollte er kommen. Hannah und ich würden uns währenddessen in Margarets Zimmer verstecken und dort auch unser Abendessen zu uns nehmen müssen,

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