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Die Tochter der Ketzerin

Die Tochter der Ketzerin

Titel: Die Tochter der Ketzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathleen Kent
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bereitet.« Man hätte meinen können, die Tante hätte Manna aufgetischt, keine abgehangene, ziemlich streng riechende Hammelkeule. Beim Kauen pflückte sich der Reverend Sehnen und Fett aus den Zähnen und wischte sich die klebrigen Finger an der Hose ab. So hingerissen war er vom Klang seiner eigenen Stimme, dass er den Mund nur zum Schlucken zumachte. Da der Onkel und Allen sich ebenfalls Gehör verschaffen wollten, ließen sie einander kaum ausreden, bevor sie selbst das Wort ergriffen. Manchmal sprachen alle gleichzeitig durcheinander, sodass ich mich an holländische Händler am Markttag erinnert fühlte. Mir fielen allmählich die Augen zu, bis ich den Reverend sagen hörte: »Offenbar haben die Pocken sich ausgetobt. Im letzten Monat sind nur sechs Menschen gestorben. Drei stammten aus einer Quäkerfamilie, von denen einer auf der Flucht war. Wir alle können dem lieben Gott dankbar sein, weil er uns von drei weiteren Ketzern befreit hat.«
    »Wissen Sie, wie es in den Nachbarstädten steht?«, fragte die Tante und knetete ihre Serviette in den Händen.
    »Leider nein, Goodwife Toothaker. Das ungnädige Wetter hat uns wie Gefangene zu Hause festgehalten. Doch ich habe kürzlich einen Brief von einem Glaubensbruder in Boston erhalten. Er schreibt, nun wüteten die Pocken dort. Außerdem sei es zu einem Ausbruch … merkwürdiger Unruhen gekommen.« Er wackelte mit den Fingern, wie um einen auffliegenden Vogelschwarm nachzuahmen.
    »Unruhen?«, hakte der Onkel nach und verzog missbilligend die Lippen.
    »Hexerei. Zaubersprüche und Riten. Mein Glaubensbruder vertritt die Auffassung, die Krankheit sei eine Folge nachlassender Tugendhaftigkeit und ziehe eine Zunahme der Hexerei nach sich. Er vergleicht es mit den üblen Dämpfen, die aus einem Moor aufsteigen, und erinnert sich noch gut an einen Fall, der in Boston vor knapp zwei Jahren aufgetreten ist. Damals brachen die Pocken genau zu dem Zeitpunkt aus, als ein gewisser Mr. John Goodwin, seines Zeichens Maurer, und seine gesamte Familie von unglaublicher Hexerei gequält wurden. Ich sagte deshalb ›unglaublich‹, weil Cotton Mather diese Worte in seiner Abhandlung über eine Frau namens Glover verwendet hat. Sie wurde wegen dieses Verbrechens angeklagt.«
    Da der Onkel sich nicht ausstechen lassen wollte, forderte er Margaret auf, sich vor den Reverend zu stellen, und verkündete stolz, er habe ihr beigebracht, woran man eine Hexe erkennen könne. Der Reverend winkte meine Cousine näher heran.
    »Also, mein liebes Kind. Erzähl mir, was du weißt.«
    Margaret begann, die Liste der Anzeichen herunterzubeten: »Erstens, ein freiwilliges Eingeständnis des Verbrechens.«
    »Bei Perkins heißt es wie folgt«, erwiderte der Reverend. »Ich sage nicht, dass ein bloßes Geständnis genügt, sondern lediglich eines nach einem angemessenen Verhör …« Er tätschelte Margaret mit seiner fettigen Hand die Schulter und ließ sie dort liegen. Ich musste an eine schwarze Krähe denken, die ein weiß verschneites Feld beschmutzt.
    »Zweitens: Wenn die Beschuldigte nicht gesteht ….«, fuhr Margaret fort.
    Der Reverend drückte und knetete ihre Schulter noch heftiger. »Dann ist die Aussage zweier Zeugen nötig, die Beweise vorlegen müssen.«
    »Was für Beweise?« Allen beugte sich vor.
    Der Reverend nahm die Hand von Margarets Schultern und zählte an den Fingern ab. »Die Beschuldigte wurde dabei beobachtet, wie sie entweder durch Anrufung oder durch Zaubersprüche den Teufel heraufbeschworen hat. Die Beschuldigte besitzt einen Familiar, beispielsweise einen Hund oder ein anderes Haustier, den sie für ihre Zauberrituale benützt. Die Beschuldigte hat gegen die Person oder die Habe des Klägers Zaubersprüche oder Rituale angewendet. Ebenso verdächtig sind Wahrsagereien und simple Formen der Zauberei, zum Beispiel das Bewegen von Gegenständen im Raum.« Ich beobachtete meinen Onkel und dachte an die Feder, die er mir aus dem Ohr gezogen hatte. Der Onkel schickte Margaret zurück an ihren Platz. »Ich habe selbst einmal erfolgreich den Zauber einer Hexe gebrochen, indem ich das Wasser des Opfers aufgekocht habe.«
    Der Reverend nahm eine kleine, abgegriffene Bibel aus der Jackentasche. »Das, Dr. Toothaker, heißt, das Schild des Teufels gegen dessen Schwert einzusetzen, und wird Ihnen sehr schaden, falls man Sie dafür zur Rechenschaft ziehen sollte«, sagte er. »Es gibt nur ein Mittel, die Hexerei zu besiegen, und zwar durch das heilige Wort Gottes. Das ist,

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