Die Tochter der Ketzerin
wohl wissend, dass die Klinge des Opfermessers irgendwann zuschlagen wird. In nur wenigen Monaten war er gebeugt und rundschultrig geworden, und außerdem war er jämmerlich mager, sodass die Knochen an seinen Handgelenken merkwürdig hervortraten. Wenn Reverend Dane und die Witwe Johnson nicht hin und wieder Lebensmittel auf unsere Türschwelle gestellt hätten, wäre meine Familie wohl verhungert.
Andrew folgte langsam Mutter und Tom, steckte die kostbaren Samen in die Erde und drückte sie mit unsicheren Fingern fest. Bei der Arbeit sang er mit heiserer dünner Stimme ein Lied, das er Mutter schon so oft im Garten hatte summen hören:
Einen für das Eichhörnchen und einen für den Raben, Einen für den Wurm und einen, dass auch wir was haben.
Er war schwer an den Pocken erkrankt gewesen und hatte drei Monate lang in Lebensgefahr geschwebt. Sein zernarbtes Gesicht teilte der Welt mit, dass er von nun an für alle Zeiten gegen die Krankheit gefeit war. Allerdings war sein auch schon vor der Krankheit nicht unbedingt reger Verstand in Mitleidenschaft gezogen worden, sodass seine Gedanken auseinanderstoben wie ein Schwarm Vögel, ehe er einen Satz beendet hatte. Oft verstummte er mitten im Wort, ging weg und ließ sein ratloses Gegenüber einfach stehen.
Ich saß also da, betrachtete meine vom Bärenfett glänzenden und glitschigen Hände und erinnerte mich daran, wie Margaret mich beim Nähen berührt hatte, bis Vater mir zurief, ich solle aufhören zu träumen und weiterarbeiten. Nachdem ich die Stechfliegen weggewedelt hatte, schnitt ich tief in das kräftige Muskelfleisch des Bären, um weiteres Fett freizulegen. Der Anblick des gehäuteten blutigen Fleisches erinnerte mich an meinen Traum, in dem die Indianer sich über Andrews Bett gebeugt hatten. Und da fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Andrew hatte die Krankheit nach Andover gebracht. Dreizehn Menschen, unter ihnen meine Großmutter, waren gestorben und lagen nun, gezeichnet vom rosigen Brautstrauß des Teufels, in ihren Gräbern. Eigentlich hätten wir laut Anordnung des Stadtrats Andover nach Ablauf der Quarantäne verlassen müssen, doch Reverend Dane hatte sich leidenschaftlich für uns eingesetzt, denn es sei Großmutters letzter Wille gewesen, dass wir blieben und die Allen-Farm bewirtschafteten. Weil die Familie Allen zu den Alteingesessenen des Dorfes gehörte, hatte sich der Stadtrat widerwillig erweichen lassen, was wir hauptsächlich Reverend Danes Fürsprache verdankten. In Wirklichkeit jedoch blieben wir in Großmutters Haus, weil meine Mutter es unbedingt so wollte. Mutters Eigensinn war unseren Nachbarn, insbesondere dem neuen jungen Geistlichen von Andover, Reverend Thomas Barnard, ein Dorn im Auge. Reverend Barnard wartete schon seit einer Weile ungeduldig darauf, dass sein älterer Amtskollege endlich in den Ruhestand ging, und wurde Jahr für Jahr aufs Neue enttäuscht, denn Reverend Dane konnte von der Kanzel nicht lassen, predigte weiter der Gemeinde und strich dafür die Hälfte des Salärs ein. Wer einen Beweis dafür braucht, dass ein Geistlicher ein fehlbarer Mensch und kein Heiliger ist, muss ihm nur die Bezüge halbieren.
Bei Großmutters Beerdigung hatte Reverend Barnard Mutter angesprochen. »Goodwife Carrier«, sagte er. »Im Brief an die Römer heißt es, dass sich ein Mensch, der sich gegen die Obrigkeit auflehnt, auch gegen Gottes Willen stellt und sich irgendwann dafür verantworten muss.«
Woraufhin meine Mutter prompt und ungerührt erwiderte: »Und steht nicht im ersten Petrusbrief, man müsse sich von Heuchelei, Neid und übler Nachrede freimachen, denn diese fielen auf den Übeltäter selbst zurück?« Ab diesem Tag wünschte Reverend Barnard uns dorthin, wo der Pfeffer wächst.
Ich schleppte den schweren Eimer mit Bärenfett zum Feuer, wo mein Vater es zum Schmelzen in den Kessel goss. Eine Weile standen wir vor den Flammen, während er die Mischung aus Fleisch und Fett umrührte. Von dem Geruch, der daraus aufstieg, bekam ich Magenknurren. Vaters Gesicht war zwar von tiefen Falten durchzogen, hatte aber eine gesunde Farbe. Die Krankheit hatte ihn verschont, ja, er hatte nicht einmal Fieber bekommen. Als ich meine Hand in seine schob, drückte er sie zwar mit seiner schwieligen Pranke, doch seine Miene war so verschlossen und abweisend wie immer. Seit meiner Rückkehr hatte ich ihn keine Träne wegen meiner Großmutter vergießen sehen. Allerdings machte ich es nicht meinem Vater, sondern meiner Mutter zum
Weitere Kostenlose Bücher