Die Tochter der Ketzerin
abweisende Miene und Hannahs Angst beim Anblick dieser inzwischen fremd gewordenen Frau nicht entgangen sein. Doch für Grübeleien blieb nur wenig Zeit, denn ich verbrachte meine ersten Tage zu Hause mit Großreinemachen. Ich kochte Lappen und Kleidungsstücke in Essig aus, um die bösen Geister zu vertreiben, die sich in Stofffalten oder hinter Knöpfen und Schnallen eingenistet hatten. Durch die Krankheit hatte meine Mutter auch noch das letzte Restchen Geduld verloren. Ganz gleich, wie fleißig ich auch schrubbte, kochte und fegte, sie fand an allem etwas auszusetzen und äußerte dies in Worten, die einen Papst zum Erröten gebracht hätten. Damals wusste ich noch nicht, dass etwas, das allzu lange gärt, irgendwann einmal Wut wird.
Obwohl ich der Tante versprochen hatte, eine brave und gehorsame Tochter zu sein, dauerte es nur wenige Tage, bis zwischen mir und meiner Mutter wieder Krieg herrschte. Ich suchte das Haus nach Hinterlassenschaften meiner Großmutter ab. Aber ihre Kleider und Bettwäsche waren verbrannt worden, und die Pritsche hatte man zu Feuerholz zerkleinert. Sie hatte mir ihr Umschlagtuch vermacht, und nachdem ich es ausgekocht und geschrubbt hatte, legte ich es mir um die Schultern wie eine Umarmung. Ich weinte viel, weil ich allzu früh auf ihre Güte verzichten musste, sodass sogar Mutter Mitleid mit mir bekam und mich in Ruhe trauern ließ. Nachts im Bett drückte ich Hannah an mich und stellte mir vor, wie Margarets warmer, feuchter Atem meinen Hals streifte. Im Haus herrschte noch immer ein muffiger Geruch nach Krankheit, der sich wie ein Ölfilm über alles legte. Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich mich der ausgemergelten Körper meiner Brüder schämte, und wenn ich meinem Vater nachblickte, der sich in den strahlenden kalten Schnee hinausflüchten konnte, wünschte ich mir, ein Junge zu sein und dem Siechtum den Rücken zukehren zu können.
Der Mai begann mit Stürmen, gefolgt von einer gewaltigen Hitzewelle. Am ersten Tag des Monats saß ich, ein Messer in der Hand, im Schatten des Hauses. Mit der anderen Hand verscheuchte ich die Fliegen von dem Kadaver des Bären, den Vater am frühen Morgen erlegt hatte. Er hatte ihn mit einem sauberen Schuss durch den Hals getötet, sodass der Kopf unversehrt geblieben war. Die braunen, milchigen Augen des Tiers waren im Tod geöffnet, und sein starrer Blick schien mich nachdenklich zu mustern, als nähme er es mir nicht übel, dass wir seinen Körper verbrauchen mussten. Ein anderer Jäger hätte sich damit gebrüstet, einen Bären erschossen zu haben, der doppelt so viel wog wie ein Mann, und das noch aus einer Entfernung von sieben Metern, eine Strecke, die ein angriffslustiger Bär mühelos zurücklegen kann, ehe man bis zehn gezählt hat, um den Angreifer mit einem gewaltigen Prankenhieb zu enthaupten. Während Vater den Bären auf ein Gestell spannte, um ihn ausbluten zu lassen, hörte ich, wie er Richard die Geschichte erzählte, die bei ihm allerdings klang, als hätte er nur ein paar Gänse geschossen. Mein Vater und mein Bruder hatten den Großteil des Tages damit verbracht, den Bären mit dem Karren in Falls Wood abzuholen. Nun schürte Vater das Feuer unter dem riesigen Kessel, den er benutzen wollte, um viele Kilo Fett aus dem Fleisch herauszuschmelzen. Das Fleisch selbst war zwar dunkel und roch streng, ließ sich aber besser trocknen als Rindfleisch und hielt sich länger als Hirsch. Wenn wir die Haut ordentlich abschabten und aus dem Fell die Disteln herauskämmten, ließ sich eine warme Winterdecke für Mutters Bett daraus machen. Vater schwor auf die heilenden Kräfte von Bärenfett und benutzte es für alles, vom Schmieren der Wagenräder bis hin zu Brustwickeln für Tom. Dafür gab Mutter Senfsamen hinzu, erhitzte das Fett, bis es blubberte, strich meinem Bruder die Brust mit der stinkenden Mixtur ein und bedeckte das Ganze mit Lammwolle. Bald wurden aus den Brandblasen Narben, doch seine Atmung besserte sich.
Als ich den Kopf hob, um nach Hannah zu sehen, die im Schatten spielte, stellte ich fest, dass Tom und Mutter den Garten umgruben. Sie säten Mais, Bohnen und Kürbis zusammen in dieselben Beete. Der Mais wuchs hoch und gerade wie eine Stange, an der sich die Bohnen bis nach oben in Richtung Sonne ranken konnten, während darunter im Schatten die Kürbisse gediehen. Tom blickte mich an und lächelte. Doch seine Augen hatten denselben Ausdruck wie die von Abrahams Sohn auf dem Altar - vertrauensvoll, aber
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