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Die Tochter der Ketzerin

Die Tochter der Ketzerin

Titel: Die Tochter der Ketzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathleen Kent
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Vorwurf, dass meine Eltern mich zurückgeholt und mich damit von meiner Cousine getrennt hatten. Deshalb verfolgte ich meine Mutter mit hasserfüllten Blicken, selbst wenn sie mit der »eisernen Bessie« mein Hinterteil bearbeitete, bis ich schrie. Während der Zeit bei den Toothakers war ich verweichlicht, sodass ich anfangs noch jammerte wie ein Lamm beim Schlachter, sobald sie mich schlug. Doch ich lernte bald, die Zähne zusammenzubeißen, und wäre lieber gestorben, als nur einen Mucks von mir zu geben. Meine Gefühle beruhigten sich erst spät in der Nacht, wenn ich allein dastand, die Finger über das geschnitzte Spinnrad gleiten ließ und mich nach der zärtlichen Zuwendung meiner Großmutter sehnte.

    Im Laufe der nächsten Tage versuchte ich, die Toothakers für meine Brüder lebendig werden zu lassen, und ich wiederholte die Geschichten von den Indianerüberfällen und den Schlachten der Milizen, die ich im Haus meines Onkels gehört hatte. Aber mir fehlten Onkel Rogers Wortgewalt und sein erzählerisches Talent, sodass Richard nur höhnisch grinsend dasaß und Tom bloß mit halbem Ohr zuhörte. Oft schlief er schon nach dem Abendessen ein. Andrew hingegen bekam von meinen Schilderungen Albträume und wachte nachts schreiend und mit rudernden Armen und Beinen auf, bis Mutter mir schließlich befahl, damit aufzuhören. Sie sagte, der Onkel könne mit der heißen Luft, die er von sich gäbe, eine Schmiede betreiben und mit seinem albernen Gerede einen Brunnen füllen. Innerhalb weniger Monate war ich in meiner Familie eine Fremde geworden. Zur Gesellschaft hatte ich nur die unverwüstliche und ständig fordernde Hannah, die in zwei Monaten ihren zweiten Geburtstag feiern würde und sich von niemandem auf dem Arm halten oder füttern ließ als von mir. Wir hatten Anweisung, uns höchstens bis auf Schussweite vom Haus zu entfernen, weil in den Siedlungen südlich von Cambridge Wabanaki gesichtet worden waren. Reverend Dane brachte die Nachricht, dass die Pocken ganze Stämme ausrotteten, weshalb die Krieger junge Kolonisten, Knaben wie Mädchen, einfingen, um die Lücken zu füllen. Erwachsene Männer wurden ebenso totgeschlagen wie Frauen, die das gebärfähige Alter überschritten hatten. Großmütter mit Kindern im Arm und alle anderen, die zu schwach oder zu jung waren, um mit dem Rückzug der Krieger mitzuhalten, wurden niedergemetzelt und den Raben überlassen.
    Innerhalb weniger Tage erbaute man in Andover und Billerica Palisadenzäune aus zugespitzten Pfählen, versehen mit bemannten Wachtürmen, um sich gegen einen Überraschungsangriff zu schützen. Einer der Wachmänner war so außer sich vor Angst vor einem Überfall, dass er versehentlich seinen eigenen Sohn erschoss, der kaum zwanzig Schritte vom Turm entfernt Brennholz sammelte. Vater schüttelte nur den Kopf und meinte, es sei ein Wunder, dass ein dummer Bauer wie dieser Kerl den Jungen überhaupt getroffen habe. Junge Frauen trugen, versteckt im Mieder oder unter der Schürze, scharfe Messer bei sich, nicht etwa um einen Angreifer zu töten, sondern weil sie sich lieber die Pulsadern aufschneiden wollten, als sich ihren Entführern hinzugeben. Mütter banden ihre kleinen Kinder mit Stricken an sich, damit sie nicht unbemerkt davonlaufen konnten, und man bildete Jungen im wehrfähigen Alter im Nahkampf mit Stöcken, hölzernen Hacken und Sicheln aus. Wer gefangen genommen wurde, konnte nur darauf hoffen, dass seine überlebenden Verwandten das nötige Lösegeld aufbrachten. Gewaltsame Befreiungsversuche gab es nicht, denn die Wabanaki waren in dieser undurchdringlichen Wildnis geboren und kannten jeden Bergpass, jeden Fluss und jeden Wald so gut wie die Haare auf ihren Armen. Die wenigen Menschen, die nach einiger in einem Geheimversteck verbrachten Zeit zurückkehrten, erschienen sogar ihren eigenen Familien wild und fremd. Eine junge Frau, die von ihrer Familie in Billerica freigekauft worden war, musste ans Bett gefesselt werden, weil sie immer wieder versuchte, zu den Entführern zu fliehen. Wer keine Angehörigen mehr hatte, musste seine Schulden bei demjenigen abarbeiten, der das Lösegeld bezahlt hatte.
    Mercy Williams war in Topsfield geboren und mit ihrer Familie ins so genannte Eastward, ein unwirtliches Gebiet im Nordosten der Kolonien, gezogen. Ihre Eltern und alle ihre Geschwister waren von den Wabanaki umgebracht worden. Sie selbst wurde nach Kanada verschleppt. Gouverneur Phips kaufte sie gemeinsam mit einem Dutzend anderer

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