Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Tochter der Ketzerin

Die Tochter der Ketzerin

Titel: Die Tochter der Ketzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathleen Kent
Vom Netzwerk:
gefesselt und mit lodernden Fackeln verbrannt. So ging das eine ganze Weile. Anschließend nahmen die Indianer ihn vom Pfahl, schnitten blutige Stücke aus seinem nackten Körper und warfen sie ihm ins Gesicht. Als er endlich tot war, banden sie ihn noch einmal fest und zündeten ihn an, bis er verkohlt war.«
    Ich spürte, wie mir mein Frühstück wieder hochkam.
    »Nachdem ich das gesehen hatte, habe ich mich damit abgefunden, eine Weile in Kanada bleiben zu müssen.« Sie warf einen Blick auf den Kessel. »Ich glaube, es ist Zeit zum Umrühren.« Da sie keine Anstalten machte aufzustehen, lief ich los und wusch allein die Hemden.

    Niemand hätte damit gerechnet, dass meine Mutter je den Sabbat heiligen würde, doch Großmutter hatte ihr in Vorausahnung ihres Todes das Versprechen abgenommen, allwöchentlich ins Versammlungshaus zu gehen, sobald die Quarantäne aufgehoben sei und wir uns alle wieder gesund und wohlauf fühlten. So kam es, dass wir am 24. Mai mit der fliegenden Hast einer Garnison, die unter Beschuss der französischen Truppen steht, in unseren Sonntagsstaat gesteckt wurden. Auf Mutters Befehl hin schrubbten wir unsere Hälse, bis sie scharlachrot waren, und zogen dann steife Schürzen und Hemden an. Eine Folge dieser neuen Sabbatgewohnheiten war, dass Mercy und ich den ganzen Samstag mit Wäschewaschen verbrachten, und bald waren unsere Hände von der Lauge rau und rissig. An diesem Sonntagmorgen war Mercy zuerst zu mir in den Karren geklettert, bemerkte jedoch dann, dass Richard uns zu Fuß folgen sollte. Sofort überließ sie Andrew ihren Platz und ging den ganzen Weg in die Stadt neben Richard her. Ungnädig sagte ich mir, dass sie sogar mit frischer Haube und Schürze ungepflegt und nicht sehr reinlich wirkte. Außerdem tat Richard, als wäre sie nicht vorhanden, und achtete nicht auf ihr unablässiges Geplapper. Nach einigen Kilometern ging ihr schließlich die Puste aus, sodass sie den Marsch schweigend fortsetzten. Hin und wieder schaute Mutter sich um. Wenn ihre Blicke spitze Pfeile gewesen wären, wäre Mercy vermutlich in den Staub gestürzt wie ein Normanne unter dem Beschuss eines walisischen Bogenschützen. Ich fragte mich, was wohl geschehen würde, wenn die »eiserne Bessie« auf Mercys Hinterteil zur Anwendung kam, denn das junge Mädchen war genauso groß wie meine Mutter. Mir hatte Mercy anvertraut, sie würde jeden niederschlagen, der es wagen sollte, die Hand gegen sie zu erheben.
    Bei unserer Ankunft im Versammlungshaus wehte uns eine eisige und feindselige Stimmung entgegen. Das laute Stimmengewirr unserer Nachbarn verstummte schlagartig, als wir vom sonnigen Hof in den dunklen Gebetsraum traten. Ich blickte mich um und stellte fest, dass sich viele Augenpaare uns zugewandt hatten. Es herrschte ein so tiefes Schweigen, dass ich das Gurren der Tauben hören konnte, die im Gebälk nisteten. Reverend Dane, der ganz vorn saß, wandte sich um und forderte uns mit einem fast unmerklichen Nicken auf, Platz zu nehmen. Ich fragte mich, ob Mutter sich wohl ganz hinten niederlassen würde. Doch sie schritt stolz wie eine Königin zu dem Platz, den ihre eigene Mutter so viele Jahre innegehabt hatte. Anfangs weigerten sich die Frauen, beiseitezurücken. Aber meine Mutter stellte einfach den Fuß in die Reihe, sodass sie rutschen mussten, weil wir uns anderenfalls auf sie gesetzt hätten. Von meinem letzten Besuch im Versammlungshaus von Andover hatte ich noch die wohltuende Stimme von Reverend Dane in Erinnerung. Doch wenn Reverend Barnard seine Schreckensbilder auf die Gemeinde losließ, war das eine völlig andere Sache. Seine Stimme klang zwar wie das Plätschern eines Baches auf einem Kiesbett, vermittelte allerdings eine bedrohliche Botschaft. Er war ein Anhänger des großen Theologen Cotton Mather und gehörte zu der Art von Geistlichen, die felsenfest an einen strafenden und eifersüchtigen Gott glaubten. Oft zitierte er aus Mathers Predigten und hatte eine besondere Vorliebe für das zornige Fünfte Buch Moses: »Ihr Fuß wird beizeiten ausgleiten.« An diesem Tag begann er mit dem Buch Joel, Kapitel 2, »Ein Tag der Düsternis und Finsternis«. Um seiner Predigt die nötige Würze zu geben, erwähnte er zum Schluss noch Hiob und seine schwärenden Wunden. Man hätte schon ziemlich begriffsstutzig sein müssen, um die Anspielung nicht zu verstehen und nicht zu wissen, dass er Hiobs Leiden mit dem Grauen der Pocken verglich. Viele, die diese Worte hörten, warfen uns verstohlen

Weitere Kostenlose Bücher