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Die Tochter der Ketzerin

Die Tochter der Ketzerin

Titel: Die Tochter der Ketzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathleen Kent
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davongeschlichen war, hatte es aber als Versuch gedeutet, Mercy aus dem Weg zu gehen. Tom rückte ein Stück an mich heran, als befürchte er, belauscht zu werden, und flüsterte: »Ich habe Angst vor ihm.« Sein Gesicht war blass, als bekäme er nicht richtig Luft. Ich lockerte einige Erdklumpen mit meiner Hacke und dachte an den Tag, als Allen seine dicht beisammenstehenden und hasserfüllten Augen meinen genähert und behauptet hatte, Vater habe die Pocken eingeschleppt. Außerdem hatte er uns vorgeworfen, wir hätten den Toothakers unrechtmäßig Großmutters Haus weggeschnappt. »Allen ist ein Tropf, der sich nur großtun will und dummes Zeug redet«, sagte ich abfällig.
    Tom schüttelte den Kopf. »Als du im März bei Margaret warst, kam Allen zu uns, um mit Mutter zu sprechen«, erwiderte er. »Er verkündete, seine Mutter Mary sei die älteste von Großmutters Kindern, weshalb diese Farm rechtmäßig ihr gehören sollte. Doch Mutter hat ihm entgegengehalten, er wolle das Haus nur für sich selbst haben.« Tom nahm mir die Hacke aus der Hand und zog mich zwischen die hohen Maisstängel. Die Erinnerung an diesen Besuch verstörte und bestürzte ihn offenbar so, dass er ins Stottern geriet. Ich reichte ihm einen Zipfel meiner Schürze, damit er sich das Gesicht abwischen konnte, und wartete, bis er sich beruhigt hatte, bevor ich ihn fortfahren ließ. »Es gab einen entsetzlichen Streit. Mutter hat ihn geohrfeigt und gerufen, er brauche sich keine Hoffnungen zu machen. Dieses Haus würde er nur über ihre Leiche bekommen. Daraufhin entgegnete Allen, der so wütend war, wie ich noch nie jemanden gesehen habe: ›Das könnte durchaus geschehen.‹«
    »Wo war Vater?«, erkundigte ich mich. Wenn Vater in der Nähe gewesen wäre, hätte Allen sicher mehr als eine Maulschelle abbekommen.
    »Mit Richard und Andrew auf der Jagd. Mutter hat Allen mit einem Besen aus dem Haus gescheucht. Ich hatte mich vor dem Geschrei in den Hof geflüchtet und hielt die Zügel von Allens Pferd, einem prachtvollen roten Wallach, um Allen eine Freude zu machen.« Ich hatte das glänzende rote Fell von Bucephalus vor Augen und wusste, dass Allen das Pferd nie ohne die ausdrückliche Erlaubnis des Onkels geritten hätte.
    »Als Allen herauskam, riss er mir die Zügel aus der Hand und schlug mich mit der geballten Faust nieder. Dann drohte er, er werde dafür sorgen, dass wir alle aus diesem Haus verschwänden, und wenn er es dazu niederbrennen müsste. Ich traue ihm das durchaus zu.«
    »Was hat Vater dazu gemeint, als er nach Hause kam?«, wollte ich wissen.
    »Seine Antwort lautete, Allens Zunderbüchse sei viel zu klein, um damit ein richtiges Feuer anzuzünden. Und da hat Mutter etwas Seltsames getan: Sie lachte.«
    Dass Allen einen Jungen niedergeschlagen hatte, der nur halb so groß war wie er, ließ mich ihn umso mehr hassen. Doch dass meine Eltern sich über seine Drohungen lustig machten, freute mich sehr. Ich versetzte Tom einen aufmunternden Schubs und erklärte ihm, ein Feigling wie Allen würde nie wagen, die Hand gegen uns zu erheben, solange Vater da sei. Und so waren wir für eine Weile beruhigt.

    Der Juni plagte uns mit drückender Schwüle, sodass die Hitze auf dem Speicher Richard zum Schlafen in die Scheune trieb. Andrew hingegen schien ständig zu frieren, als hätte die Krankheit seinen inneren Ofen zum Erlöschen gebracht, sodass er die Hitze genoss. Tom schlief wie ein Toter und wäre vermutlich eher in seinem eigenen Schweiß ertrunken, als aufzuwachen. Auch Mercy wurde unruhig und schlich sich nachts häufig aus dem Bett. Vermutlich glaubte sie, ich würde das Schlurfen ihrer großen Füße auf dem Boden nicht hören. Meist blieb sie mindestens eine Stunde lang weg, und ich hatte den Verdacht, dass sie Lebensmittel aus der Speisekammer stahl, denn ich hatte sie schon einmal dabei beobachtet.
    Eines Tages waren wir alle damit beschäftigt, Eimer mit Wasser vom Brunnen in den Garten zu schleppen, da die zarten Ranken und Stängel wegen der Trockenheit nur spärlich gediehen. Im Osten waren große violette Wolken zu sehen. Doch der Wind wehte von Südwesten und blies den Regen nach Salem und dann hinaus aufs Meer. Die Hitze machte uns ungeduldig und gereizt, und Richard war besonders übler Laune. Inzwischen hatte ich gelernt, seine Stimmungsschwankungen hinzunehmen und ihm nach Möglichkeit aus dem Weg zu gehen. Mit seinen sechzehn Jahren war er ein ziemlicher Hitzkopf, sodass man sich lieber nicht mit ihm anlegte.

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