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Die Tochter der Ketzerin

Die Tochter der Ketzerin

Titel: Die Tochter der Ketzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathleen Kent
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missbilligende Blicke zu, sodass meine Hände ganz feucht und kalt wurden. Ein gejagter Hase, der sich weder in seinen Bau noch in ein Versteck flüchten kann, wird sich eher tothetzen als vom Fuchs zerreißen lassen. Dreht sich der Hase jedoch um und stellt sich dem Verfolger entgegen, erstarrt er vor Angst und spürt beim Sterben, wie ihm die Kiefer des Jägers den Schädel zermalmen. Die Augen des Fuchses erlegen die Beute, noch ehe seine Zähne es tun. Ich hielt mich an Mutters Beispiel und starrte auf die Wand über dem Kopf des Geistlichen.
    Nach dem Gottesdienst trat ich hinaus ins Licht und hielt nach Lieutenant Osgoods kleinem schwarzen Sklaven Ausschau. Ich konnte ihn zwar nicht entdecken, bemerkte aber, dass Mercy kichernd mit einem etwa gleichaltrigen Mädchen tuschelte. Die beiden steckten die Köpfe zusammen, fuhren aber auseinander, sobald ich mich näherte, und setzten Unschuldsmienen auf, damit ich nicht merken sollte, dass sie über mich gesprochen hatten. Das Mädchen hieß Mary Lacey und ließ mich schon in den ersten Minuten wissen, welche jungen Männer verrückt nach ihr waren. Mir entging der Blick nicht, den Mercy Richard zuwarf. Als sie mir frech befahl zu verschwinden, rührte ich mich nicht von der Stelle und sah ihr in die Augen. Schulterzuckend fuhr Mercy mit ihrem Klatsch fort, der sich hauptsächlich um die Junggesellen im Dorf drehte.
    »Oh, schau«, meinte Mary da und senkte plötzlich den Blick. »Da sind Timothy Swan und seine Brüder.«
    Ich sah einen klein gewachsenen Mann, der gerade mit drei jüngeren Burschen sprach. Seine Schultern waren gebeugt, und sein Gesicht hatte eine blässliche Farbe.
    »Robert Swan ist inzwischen verheiratet«, erklärte Mary. »Aber Timothy und John sind noch ledig. Timothy war kürzlich krank …« Sie beugte sich vor und flüsterte Mercy etwas ins Ohr. Obwohl sie sich die Hände vor den Mund hielten, um ein Lachen zu unterdrücken, war es dennoch so deutlich zu hören, dass einige Frauen, die gerade aus dem Versammlungshaus kamen, finster das Gesicht verzogen. Als ich mich wieder zu den Männern umschaute, stellte ich fest, dass sich Allen Toothaker zu ihnen gesellt hatte. Der Blick, den er mir zuwarf, ließ mich an die muffige Luft im kalten Keller seines Vaters denken. Mary packte Mercy am Ärmel, wies mit dem Kinn auf die Männer und sagte: »Und das dort drüben ist Allen Toothaker. Er kommt aus Billerica und wohnt bei den Swans, bis er seine eigene Farm hat. Eigentlich dachte er, er hätte schon eine.« Sie sah mich vielsagend an. »Doch offenbar ist ihm da jemand zuvorgekommen. Er ist dein ältester Cousin, richtig, Sarah?«
    Ich spürte, dass mich jemand am Ellenbogen zupfte, und hörte Toms Stimme hinter mir. »Wir müssen los. Mutter wartet.« Beharrlich zerrte er mich am Arm, bis ich ihm zum Wagen folgte. Mercy trödelte noch ein wenig herum, offenbar in der Hoffnung, Allen würde sie ansprechen. Doch er verschwand zwischen den von Klee bewachsenen Grabhügeln auf dem Friedhof. Auf dem Rückweg ging Mercy noch dichter bei Richard als zuvor, versuchte es diesmal jedoch anders, indem sie vortäuschte, sie hätte sich erst den einen, dann den anderen Knöchel verstaucht. Richard half ihr zwar und reichte ihr einen dicken Stock und einen Wassersack, trottete allerdings, weiterhin mürrisch schweigend, hinter dem Karren her.

    In diesem Frühjahr wirkte die Welt so üppig, frisch und grün, als wäre sie aus einem gewaltigen und endlosen Ballen Halbwollzeug gemacht. Die Bäume trugen zartrosafarbene und weiße Blüten. Im Schatten der Schlehenbüsche wuchs der Efeu. An den Ufern des Roger’s Brook wimmelte es von wilden Veilchen, und die hohen Gräser bogen sich im Wind. Bald war beinahe vergessen, dass die kalte Jahreszeit uns behandelt hatte wie ein unerwünschtes Stiefkind, das man nicht im Haus haben möchte und mit dessen Vorhandensein man sich nur widerwillig abfindet. Eines schönen Morgens fing Tom mich im Garten ab, und nachdem er mich eine Weile mit seinem Geseufze und Füßescharren auf die Folter gespannt hatte, fragte ich ihn, was ihn denn bedrückte. Ich wusste, dass ihn etwas belastete, auch wenn er dazu neigte, viel zu lange über unbedeutende Kleinigkeiten nachzugrübeln.
    »Erinnerst du dich an den letzten Sonntag, als wir in der Stadt Allen Toothaker begegnet sind?«, rückte er schließlich mit der Sprache heraus. Ich hatte noch deutlich vor Augen, wie Allen nach dem Besuch im Versammlungshaus heimlich über den Friedhof

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