Die Tochter der Ketzerin
ausgestellt, und wie immer in solchen Fällen sprach sich die bevorstehende Ankunft der Wachtmeister herum, obwohl sie eigentlich hätte geheim bleiben müssen. Die Nachricht verbreitete sich von Nachbar zu Nachbar, bis am Abend des 30. Mai Robert Russell vor unserer Tür stand und uns mitteilte, Mutter solle am nächsten Tag bei Morgengrauen abgeholt und in Salem dem Magistrat vorgeführt werden.
Benommen und wie vom Donner gerührt, standen wir in der Wohnküche, wo noch die Überreste des Abendessens auf dem Tisch lagen. Mutter starrte Robert an, als habe er ihr gerade erklärt, unser Ochse hätte auf dem Dach ein Nest gebaut. Doch als er sie anflehte, wie so viele ihrer Schicksalsgenossen eine Flucht in Erwägung zu ziehen, schüttelte sie den Kopf und fing an, den Tisch abzuräumen. »Thomas, sprich du mit ihr«, wandte Robert sich daraufhin an Vater. »Bring sie zur Vernunft.« Aber Vater erwiderte nur: »Sie weiß, was auf dem Spiel steht. Es ist ihre Entscheidung, ob sie geht oder bleibt.« Als ich hörte, wie wenig Vater sich für sie verwendete, siegte die Wut über meine Angst und erstickte sie im Keim. Waren unsere Mutter und wir ihm wirklich so gleichgültig, dass er sie, anders als Robert, nicht drängte, sich zu verstecken, bis die Gefahr gebannt war?
Mit finsterer Miene und die Lippen fest zusammengepresst, marschierte Richard hinaus und in die Scheune, wo er bis zum Eintreffen des Wachtmeisters blieb. Andrew ging in immer enger werdenden Kreisen im Zimmer herum wie ein Stück Holz, das in einen gefährlichen Strudel geraten ist. Doch nach einer Weile nahm Tom ihn am Arm und setzte ihn an den Kamin. Tom selbst kämpfte mit den Tränen, und sein keuchender Atem füllte den Raum, bis schließlich seine Knie nachgaben und er zu Boden sank. Ich stand da, blickte zwischen Vater und Robert hin und her und begriff einfach nicht, warum sie nichts unternahmen. Am liebsten hätte ich in die Stille hineingeschrien oder mich gegen einen harten Gegenstand geworfen, um zu verhindern, dass meine Mutter ins Gefängnis geschleppt wurde. Als sich am Tisch etwas bewegte, schaute ich auf und stellte fest, dass sie mich betrachtete. Ihr Ausdruck war weder ängstlich noch tadelnd, ja, nicht einmal traurig, sondern zornig und verständnisvoll. Während sie mich lange und wissend musterte, war es, als befänden wir uns allein im Raum, eingehüllt in ein vielsagendes Schweigen - oder in einen schützenden Kokon, gemacht aus Muttermilch und Gusseisen. Allerdings dauerte dieser Augenblick nur so lange, bis Hannah zu weinen begann. Robert fügte hinzu, Tante Mary und Margaret sollten ebenfalls festgenommen werden. Bevor er ging, versprach er, er und seine Frau würden sich um den Rest der Familie kümmern, falls Mutter sich doch noch entschließen sollte, zu fliehen, oder zu lang in Salem bleiben müsse.
Mutter verharrte am Kamin, lange nachdem meine Brüder und ich zu Bett gegangen waren. Ich wälzte mich hin und her und löste Hannahs Arme von meinem Hals, fand jedoch keinen Schlaf. Schließlich schlich ich mich aus dem Zimmer und stellte fest, dass Vater sich zu Mutter ans Feuer gesellt hatte. Sie saßen einander gegenüber und unterhielten sich im Flüsterton.
»Sie sind wie Hunde, die an ihrem Hintern schnüffeln«, sagte Vater. »Es gibt keinen süßeren Duft als den der eigenen Verderbtheit.« Mutter lachte leise auf und rückte näher an ihn heran. Ich wusste, dass sie von Mutters bevorstehender Verhaftung sprachen.
»Ich werde ihnen die Angelegenheit vernünftig erklären. Sie müssen mich einfach anhören«, meinte sie. »Dann werden die Märchen dieser Mädchen in sich zusammenstürzen wie ein Kartenhaus auf einem schiefen Tisch. Die Magistrate hatten mit so vielen albernen und beschränkten Frauenzimmern zu tun, dass sie diesen Unsinn allmählich selbst glauben. Nun, ich bin nicht geistig verwirrt, und ich habe keine Angst vor ihnen. Schließlich sind sie Richter und Anwälte und müssen sich an die Gesetze halten.«
Vater griff nach ihrer Hand und stützte die Unterarme auf ihren Schoß. Seine Daumen liebkosten ihre Handflächen, als er erwiderte: »Martha, diese Leute wollen keine vernünftigen Begründungen hören. Wie sollten sie auch, wenn sie alles, was sie verkörpern, auf den Rücken anderer aufgebaut haben? Es ist dir hoch anzurechnen, dass du auf deine Kraft und deinen Mut vertraust. Aber sie werden die Ohren vor dir verschließen. Sie haben gar keine andere Wahl.«
Mutter entzog ihm eine ihrer
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