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Die Tochter der Ketzerin

Die Tochter der Ketzerin

Titel: Die Tochter der Ketzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathleen Kent
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Phoebe. Ich riss meinen Schuh aus dem schmatzenden Schlamm und eilte weiter, ohne mir die Zeit zu nehmen, ihn anzuziehen. Die Mädchen folgten mir, »Hexe, Hexe, Hexe, Hexe …« leiernd, auf den Fersen. Bis auf ihre zischenden Stimmen und das Prasseln des Regens war es still auf dem Hof. Unsere Nachbarn standen da wie die Salzsäulen und schienen nicht zu bemerken, wie der Regen ihre Mäntel und Röcke durchweichte. Ihre Münder bewegten sich nicht, doch ihre Augen funkelten aufmerksam. Als ich stolperte und hinfiel, sodass meine Schürze mit schwarzem Schlamm bedeckt war, hörte ich hinter mir Gelächter. Obwohl ich zu Boden schaute, spürte ich, wie die Mädchen hinter mir näher kamen, und zuckte zusammen, denn ich erinnerte mich nur allzu gut daran, wie der Stein mich am Kopf getroffen hatte. Phoebe beugte sich über mich. »Hexehexehexehexe«, kreischte sie immer schriller. Im ersten Moment konnte ich nicht feststellen, warum ihre Komplizinnen so plötzlich zurückwichen. Phoebe hatte es offenbar auch nicht bemerkt, denn sie schrie immer weiter mit sich überschlagender Stimme auf mich ein und klang dabei wie ein schnatterndes Eichhörnchen. Rasch näherte sich ein mit Schlamm bespritzter Rocksaum, gefolgt von den Spitzen abgetragener Schuhe, die kleine Morastbröckchen in alle Richtungen fliegen ließen. Als meine Mutter Phoebe an der Schulter packte und sie schüttelte, verstummte ihr Gekreische so schlagartig wie mit einem Messer abgeschnitten.
    »Jetzt ist aber Schluss! Wo glaubst du, dass du dich hier befindest? Bist du in einem Keller aufgewachsen, dass du so schlechte Manieren hast?« Das Haar war meiner Mutter aus der Haube gerutscht, und ihre Wangen waren gerötet.
    »Verschwindet. Und zwar ihr alle.«
    Die Mädchen wollten sich schon trollen, als sie bemerkten, dass Mercy stehen geblieben war. Sie verschränkte die Arme vor der Brust, schob die Hüfte vor und zog höhnisch die Oberlippe hoch. Nun hielten auch die anderen inne und sahen zu, wie Mutter mir aufhalf und mich an der Hand nahm, sodass der Schlamm unsere Handflächen zusammenklebte. Währenddessen hatte Vater im Karren gesessen, und als ich ins Stroh kletterte, schossen mir zwei Gedanken durch den Kopf. Der erste war, dass Mutter mich verteidigt hatte, der zweite, dass Vater untätig geblieben war. Die Heimfahrt verlief wortlos. Wir kauerten uns unter die Ölhaut, und ich spürte, wie meine Brüder mich beobachteten. Als ich anfing, vor Nässe, Kälte und Furcht zu zittern, legte Tom den Arm um mich und wischte mir mit seinem Schal den Dreck von den Händen.
    Nach einer Weile blieb der Karren im Schlamm stecken, sodass Vater Mutter die Zügel reichte und dann mit Richard anschob. »Ist alles in Ordnung?«, fragte er nach einem raschen Blick auf mich. Ich nickte, war aber bitterlich enttäuscht, weil er nicht vom Wagen gesprungen war, um die Mädchen wie einen Schwarm Hühner auseinanderzujagen. Damit er meine Tränen nicht sah, wandte ich mich ab. Doch Andrew bemerkte es und tätschelte mir die Schulter. »Alles vorbei, alles vorbei«, tröstete er mich. Während des restlichen Nachhausewegs schmiegte er sich an mich und strahlte über das ganze Mondgesicht. »Alles vorbei, Sarah, alles vorbei«, sagte er immer wieder.

    In den frühen Morgenstunden des 18. Mai wurde der Onkel verhaftet und nach Boston ins Gefängnis gebracht. Als Joseph Neall, der Wachtmeister von Salem, ihn in seinem Haus in Billerica festnahm, war mein Onkel sturzbetrunken. Deshalb bemerkte er auch erst kurz vor der Ankunft im Gefängnis, dass er nicht als Arzt im Dienste eines Patienten, sondern als Beschuldigter in einem Hexenprozess unterwegs war. Inzwischen saßen in den Kerkern von Salem und Boston achtunddreißig Männer, Frauen und Kinder in Gemeinschaftszellen ein, die eigentlich für die halbe Anzahl von Sträflingen gedacht waren. Am 24. desselben Monats befahl Sir William Phips, der neue Gouverneur von Massachusetts, ein Schwurgericht einzusetzen, das die Hexenprozesse führen und ein Urteil über die Angeklagten sprechen solle. Neun Richter wurden ernannt, um als Türhüter zwischen der Welt der Gerechten und der der Verdammten zu wirken.
    Goodwife Easty, die Schwester von Rebecca Nurse, einer frommen Frau aus Salem, wurde festgenommen, freigelassen, allerdings wieder verhaftet, als die gepeinigten Mädchen erneut Geheul erhoben, sie schicke ihnen ihre Spukgestalt, um sie zu zwicken, zu beißen und zu würgen. Am 28. wurden im Dorf Salem weitere Haftbefehle

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