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Die Tochter der Ketzerin

Die Tochter der Ketzerin

Titel: Die Tochter der Ketzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathleen Kent
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die Hände zu bekommen. Es könnte unser aller Untergang sein. Deshalb musst du mir zwei Dinge schwören, und zwar beim Leben deiner Familie. Erstens wirst du dieses Buch bewahren. Heute Nacht verstecken wir es, doch wenn die Zeit reif ist, musst du es holen, falls ich das dann nicht mehr tun kann. Und zweitens versprich mir, es erst zu lesen, wenn du volljährig bist.« Ich starrte sie überrascht an. Wie sollte ich so etwas versprechen, ohne zu wissen, worauf ich mich da einließ?
    »Gib mir deine Hand.« Als ich sie ausstreckte, griff sie danach und drückte sie auf das Buch, wie man es tut, wenn man einen Eid auf die Bibel ablegt. »Versprich es mir, Sarah«, sagte sie dann eindringlich.
    »Aber ich verstehe den Grund nicht!«, rief ich. Es kümmerte mich nicht, ob sie mich schütteln würde, bis mir die Zähne klapperten. Und es war mir auch gleichgültig, dass meine Stimme nach Süden über die Sümpfe hallen und jeden schlafenden Farmer bis nach Reading aufwecken würde. Allerdings züchtigte sie mich nicht, sondern umarmte mich nur fest und ließ mich weinen, bis das salzige Wasser ihr das Kleid bis hinunter auf die Haut durchweichte. Schließlich machte sie sich los, nahm die Haube ab und wischte mir die Tränen vom Gesicht. »Sarah, wir haben nicht viel Zeit«, meinte sie. »Eines Tages wirst du alles begreifen. Doch heute Nacht brauche ich dein Versprechen. Wenn sie dich holen kommen, sage ihnen, was sie hören wollen. Dann werden sie zufrieden sein und dich gehen lassen. Selbst wenn du zugeben musst, dass du auf einer Stange nach Bald Hill fliegst, um dort jede Nacht zu tanzen. Wenn sie fragen, ob ich eine Hexe bin, antworte einfach mit ja und vergiss die Sache.«
    Als ich wieder den Kopf schütteln wollte, sprach sie weiter. »Meine starrsinnige, zornige Sarah. Es ist eine schwere Last, doch du bist die Einzige, die sie meistern kann. Richard trägt schon schwer genug an seinem grüblerischen Gemüt und würde daran zerbrechen. Und der arme, geistesschwache Andrew würde die Tür nicht finden, weil er nur aus dem Fenster schaut. Tom ist zwar ein guter Junge, aber er nimmt zu viel Rücksicht auf die Gefühle anderer und würde vielleicht einen Fehler machen, nur um niemandem wehtun zu müssen. Dieses Buch ist unsere Geschichte, und die Geschichte einer Familie hat nur so lange Bestand, wie es jemanden gibt, der sie erzählen kann. In dir soll sie fortbestehen, damit wir sie nicht vergessen, falls ich sterben sollte.«
    »Was ist mit Vater? Warum kann er das Buch nicht aufbewahren?«
    Ich hörte, wie sie tief Luft holte, bevor sie antwortete. »Er weiß nichts davon.«
    Ungläubig starrte ich sie an. Wie konnte eine Frau ein solches Geheimnis vor ihrem Mann haben - und es dann ausgerechnet mir anvertrauen? Mutter wich ein Stück zurück, sodass die Dunkelheit ihr Gesicht verbarg. Als sie weitersprach, klang ihre Stimme gedämpft, als schlüge sie die Hände vor den Mund. »Ich habe ihm nie von dem Buch erzählt, da er hoffte, sein altes Leben hinter sich lassen und vergessen zu können und nie wieder daran denken zu müssen, nachdem er es mir erzählt hatte. Doch ich konnte es einfach nicht auf sich beruhen lassen. Das Buch berichtet von den vielen Todesopfern, und die Geschichte, die auf diesen dünnen Seiten steht, wurde mit Strömen von Blut geschrieben. Wenn sie verloren gehen, war alles umsonst.«
    Sie nahm meine Hand, küsste sie und legte sie auf das Buch. »Stell jetzt keine Fragen mehr, Sarah. Irgendwann werden sie alle beantwortet werden.« Nachdem ich ihr mein Versprechen gegeben hatte, wickelten wir das Buch in Ölhaut, wühlten mit den Händen die feuchte Erde auf und vergruben es am Fuße der Ulme. Mutter wies mich an, die Stelle gut zu markieren, damit ich sie auch wiederfinden würde. Dann machten wir uns wortlos auf den Rückweg.
    In den frühen Morgenstunden des 31. Mai näherte sich ein Wagen unserem Haus. Wir hörten, wie sich der Hofhund unter lautem Gebell gegen seine Kette warf, als John Ballard auf unsere Tür zukam. Wie ich wusste, hatte Vater die Kette erst vor kurzem verlängert, sodass der Hund nur um eine Haaresbreite vor den Stiefelabsätzen des Wachtmeisters zum Stehen kam. Der Mann zuckte zusammen, stieß einen Fluch aus und marschierte ins Haus, wo er den Haftbefehl verlas. Mutter blickte ihn unverwandt an, als er ihr die Hände mit einem Seil fesselte. Sie flehte weder um Gnade, noch bat sie um mehr Zeit, sondern betrachtete uns nur einen nach dem anderen. Schließlich

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