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Die Tochter der Ketzerin

Die Tochter der Ketzerin

Titel: Die Tochter der Ketzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathleen Kent
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Hände, um ihm über das lange, struppige Haar zu streichen. »Wenn ich es nicht tue, nimmt es vielleicht nie ein Ende«, widersprach sie. »Wer etwas Gutes erreichen will, muss, ganz gleich, ob Mann oder Frau, kämpfen und Opfer bringen. Nur so können wir uns von der Tyrannei befreien. Das waren deine eigenen Worte.«
    Vater machte eine wegwerfende Handbewegung. »Das waren nicht meine Worte, sondern die von Menschen, die dafür gestorben sind und nun namenlos in ihren Gräbern verrotten.«
    Sie legte den Finger an die Lippen. »Willst du mir wirklich ein Licht geben und es dann wieder löschen?«, fragte sie. »Möchtest du, dass ich davonlaufe? Was wäre ich denn dann? Nichts weiter als eine Sklavin mit einem Stiefel im Rücken. Wie stünde ich dann vor dir und meinen Kindern da? Könntest du mich noch so lieben wie früher, wenn ich meine Überzeugungen verrate? Ich habe keine Angst, Thomas.«
    »Ja, und genau davor fürchte ich mich«, erwiderte Vater.
    Als ein Dielenbrett unter meinen Füßen knarzte, entdeckte Mutter mich in meinem Versteck. Sie stand auf und befahl mir, mich rasch anzuziehen. Ich schlüpfte in mein Kleid, ließ die Schürze weg und steckte die Füße ohne Strümpfe in die Schuhe, da ich dachte, sie hätte es sich vielleicht anders überlegt und wolle fliehen und mich mitnehmen. Doch meine Hoffnung verflog, als sie zu Vater sagte: »Ich bin in zwei bis drei Stunden zurück. Da ist etwas, das ich Sarah geben muss.«
    Die Nacht war sehr dunkel, denn es war kein Mond zu sehen. Doch wegen des schwülwarmen Wetters war mein Hemd unter den Achseln bald feucht von Schweiß. Mutter ging so schnell, dass ich rennen musste, um mit ihr Schritt zu halten. Der Leinensack, den sie bei sich trug, prallte schwer gegen ihren Schenkel. Erst nahmen wir den Weg, der zu Roberts Haus führte, wandten uns dann jedoch nach Süden, bis wir einen Wald aus Eichen und Ulmen erreichten. Da wusste ich, dass wir nach Gibbet Plain wollten. Ich dachte an Pilze und Blumen, an Blutwurz und an Veilchen, die sicherlich überall auf dem Feld wuchsen, auch wenn ich in der Dunkelheit kaum etwas erkennen konnte. Wir waren etwa hundert Schritte in die Wiese hineingegangen, als Mutter mich zu einem kleinen Hügel führte, auf dem eine einsame Ulme wuchs. Dort blieb sie stehen und drehte sich zu mir um. »Du weißt, wohin ich morgen gehe?«, fragte sie mich so eindringlich, dass mir ihr Atem heiß ins Gesicht schlug. Ich nickte. »Weißt du auch, warum?«, hakte sie nach. Ich nickte wieder. »Dann sprich es aus«, forderte sie mich auf. Ich öffnete den Mund. »Weil du angeblich eine Hexe bist«, sagte ich mit zitternder Stimme.
    »Weißt du, warum Mary und Margaret festgenommen werden?«, erkundigte sie sich dann. »Weil sie auch Hexen sein sollen«, antwortete ich.
    Da legte sie mir die Hände auf die Schultern und zwang mich, ihr in die Augen zu sehen. »Nein«, widersprach sie. »Sie werden verhaftet, damit der Onkel gesteht, und in der Hoffnung, dass sie in ihrer Not auch andere der Hexerei bezichtigen. Doch wenn sie mich morgen holen kommen, werde ich weder gestehen noch jemanden anschwärzen. Ist dir klar, was das bedeutet?«
    Ich wollte schon den Kopf schütteln, als mir ein schrecklicher Gedanke kam. Offenbar riss ich vor Entsetzen die Augen auf, denn Mutter schüttelte mit finsterer Miene den Kopf und meinte: »Wenn sie mir kein Geständnis entlocken können, werden sie sich an meine Familie halten, und da spielt es keine Rolle, ob man ein Kind ist. In Salem sitzen zur Stunde auch Kinder im Gefängnis.« Als sie meinen Blick bemerkte, ging sie vor mir in die Knie und schloss mich fest in die Arme.
    »Wenn sie dich holen kommen, musst du ihnen alles sagen, was sie hören wollen, um dich zu retten. Erkläre Richard, Andrew und Tom, dass sie das ebenfalls tun sollen.«
    »Aber warum machst du es dann nicht selbst...« Meine Stimme nahm einen vorwurfsvollen Ton an, doch sie schüttelte mich, um mich zum Schweigen zu bringen.
    »Weil jemand für die Wahrheit eintreten muss.«
    »Weshalb ausgerechnet du?« Anstelle einer Antwort nahm sie das rote Buch, in das ich sie vor so vielen Wochen hatte schreiben sehen, aus dem Sack.
    »Dieses Buch …« Sie hielt kurz inne und betastete das abgegriffene Leder. »Dieses Buch enthält die Geschichte deines Vaters in England, bevor er in die Kolonien gekommen ist.«
    »Mehr nicht?«, erwiderte ich enttäuscht.
    »Sarah, es gibt Leute, die sich nicht scheuen würden, dich zu töten, um es in

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