Die Tochter der Ketzerin
Vogelscheuche trug und der einen Schlitz von einem Säbel am Ärmel hatte. Dann erinnerte ich mich an die vielen Male, die Vater allein in die Wälder gegangen war, wohin ihm kein vernünftiger Mensch gefolgt wäre. An seine todbringende Treffsicherheit mit der langen Flinte. Ich ließ das Gerede der Männer auf dem Hof des Versammlungshauses Revue passieren und fragte mich, wie wohl die Gerüchte über das Leben eines Soldaten und den Tod eines Königs zu einem Mann passen mochten, der hier in Neuengland mit Leib und Seele Farmer war, Vieh hielt, den Boden bearbeitete und auch danach aussah. Doch wenn dieses Gerede die allgemeine Auffassung widerspiegelte, war es nur verständlich, dass der Onkel beim Anblick von Vaters Axt auf dem Tisch Reißaus genommen hatte. Dasselbe galt für Allens bleiche Gesichtsfarbe, als Mutter ihm gedroht hatte, er werde den Kopf unter dem Arm tragen können, falls er weiterhin versuchen sollte, uns aus unserem Haus zu vertreiben. Ihre Warnung fiel mir ein, dass sich viele Leute nicht scheuen würden, mich zu töten, um das rote Buch, das unsere Familiengeschichte enthielt, in die Hände zu bekommen. Mein sehnsüchtiger Wunsch, das Buch sofort auszugraben und es zu lesen, brannte mir förmlich ein Loch in den Magen. Und dann kamen mir plötzlich die Geschichten in den Sinn, die der Onkel uns am Kaminfeuer erzählt hatte. Seine Schilderung der Hinrichtung von König Charles I. von England, den man die Stufen von Whitehall hinaufgeführt und über einen Block gebeugt hatte. Dann hatte ein hochgewachsener Henker mit Kapuze ihm den Kopf abgeschlagen und diesen mit den Worten »Der König, Tyrann und Unterdrücker des Volkes, ist tot« hochgehalten, damit ganz London ihn sehen konnte.
Als wir den Hof des Versammlungshauses verließen, war Lieutenant Osgoods kleiner schwarzer Sklave der Einzige, der sich von uns verabschiedete. Zierlich und verwachsen, stand er abseits von der Gemeinde. Die Schuhe an seinen nackten Füßen sahen immer noch riesig aus, und sein Mantel war zerlumpter und fadenscheiniger denn je. Es war nur passend, dass dieser vernachlässigte, einsame und verachtete Junge uns allein nachwinkte, bis wir nicht mehr zu sehen waren. Ich sollte ihm nie wieder begegnen, doch er erschien mir immer wieder in meinen Träumen - in einem neuen Mantel, mit silbernen Schnallen an den Schuhen und das schwarze Gesicht von einer Trauer erfüllt, die so zeitlos war wie die dunkle Seite des Mondes. Am 20. Juli gestand Mary Lacey, die Freundin von Mercy Williams, die mich auf dem Friedhof von Andover gepiesackt hatte und nun auch in Salem im Gefängnis saß, sie sei tatsächlich eine Hexe, ebenso wie ihre Mutter und Großmutter. Außerdem teilte sie den Befragern mit, Richard und Andrew seien auch Hexen. Goodwife Carrier habe ihr weiterhin bei einer mitternächtlichen Hexenversammlung eröffnet, der Teufel habe ihr - also meiner Mutter - versprochen, sie werde die Königin der Hölle werden. Am 21. Juli fuhr John Ballard mit seinem Karren vor, um meine beiden ältesten Brüder zu holen.
Er hatte abgewartet, bis mein Vater sich auf den langen Fußmarsch nach Salem gemacht hatte, und war dann einfach frech in unser Haus spaziert, um die Haftbefehle zu präsentieren. Ich musste Richard und Andrew aus der Scheune herbeirufen und wartete dann allein mit Ballard in der Wohnküche. Dieser grinste hämisch und drohte mir mit dem Finger. »Du bist die Nächste, kleines Fräulein«, sagte er. Als Richard hereinkam und den Wachtmeister erblickte, wollte er im ersten Moment die Flucht ergreifen. Doch er überlegte es sich anders, denn John Ballard legte mir grob die Hand auf die Schulter. »Wenn du nicht mitkommst, nehme ich eben sie«, meinte er zu ihm.
Also ließ sich Richard die Hände fesseln, woraufhin Andrew dem Beispiel seines Bruders folgte und bereitwillig die Arme ausstreckte. Er zuckte nur zusammen, als der Strick fest um seine Handgelenke zusammengezogen wurde. Dann stiegen sie in den Wagen. Während der Wachtmeister nach den Zügeln griff, zischte ich Richard zu: »Vergiss nicht, was Mutter gesagt hat. Erzähl ihnen, was sie hören wollen.«
Mein Herz krampfte sich zusammen wie eine Faust, als er erwiderte: »Sie können mich nicht zu einer Falschaussage zwingen. Wenn Mutter standhaft bleibt, bleibe ich es auch.«
Der Wagen fuhr los. Ich lief ihm nach. »Dann denk an Andrew, Richard. Er wird sich dich zum Beispiel nehmen und alles tun und sagen, was du von ihm verlangst.« Der Wagen wurde
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