Die Tochter der Ketzerin
die Angst um seine eigene Unversehrtheit, waren es, die Richard dazu bewegten, den Richtern zu sagen, was sie hören wollten.
Als man meinen Bruder zurück in den Gerichtssaal führte, teilte Richard dem Magistrat mit, er und Andrew seien tatsächlich Hexen, allerdings erst seit kurzer Zeit. Auf die Frage, was sie dazu gebracht habe, sich von Gott abzuwenden, erwiderte Richard, Mutter habe ihre Hände auf das Buch des Teufels gelegt und sie einen Eid auf ihn schwören lassen. Er nannte auch die Namen weiterer Hexen, allerdings nur von Personen, die schon als Angeklagte im Gefängnis saßen und auf ihren Prozess warteten oder bereits verurteilt und gehängt worden waren. Andrew sagte kein Wort und klammerte sich nur an Richards Hemd, sodass Sheriff Corwin und ein anderer Mann sie trennen mussten, um sie für den Transport ins Gefängnis in Ketten zu legen.
Als Vater bei seiner Rückkehr am späten Nachmittag feststellen musste, dass Richard und Andrew verschleppt worden waren, stand ihm das Entsetzen ins Gesicht geschrieben. Er starrte auf eine Stelle über unseren Köpfen, bis ich schon glaubte, die Steine des Kamins würden bersten und die erkaltende Glut in der Esse in einer wütenden Feuersbrunst auflodern. Vater stürmte auf den Hof hinaus, wo er aufgebracht hin und her lief, sich die Haare raufte und den Hut zwischen den Händen knetete. Ich hörte, wie er mit lauter Stimme verzweifelte Pläne zu ihrer Rettung schmiedete. Nach einer Weile jedoch kam er wieder ins Haus, setzte sich an den Tisch und ließ die langen Arme zwischen den Knien baumeln. Tom und ich klammerten uns aneinander wie in jener Nacht des Unwetters auf dem Sunset Rock und warteten darauf, dass Vater von dem Ort der Dunkelheit und Verdammnis, an den er sich zurückgezogen hatte, wieder zu uns fand. Hannah war hungrig und verängstigt und weinte sich, ein Stück trockenes Maisbrot in der Hand, schließlich unter dem Tisch in den Schlaf. Endlich, schon längst hatte sich die Nacht über die Wohnküche gesenkt, rief Vater aus der Finsternis nach uns, zog uns an sich und schenkte uns in seinen langen starken Armen Geborgenheit. Es war das erste Mal in meinem Leben, dass mein Vater mich umarmte und dass wir zusammen weinen konnten. Am nächsten Morgen standen wir in der Dämmerung aus unseren Betten auf, um uns wieder einem Tag zu stellen. Die Sommerernte einzubringen ähnelte eher einer Verzweiflungstat, denn da wir nur zu dritt waren, um den Weizen zu mähen und ihn zu Garben zu binden, würden wir den Großteil des Getreides verfaulen lassen müssen. Dennoch arbeiteten wir Seite an Seite die staubigen Reihen ab. Die Hitze und die wachsende Mutlosigkeit dörrten uns die Münder aus, und vom ständigen Schwingen der Sense zitterten unsere schmerzenden Arme. Währenddessen suchten unsere brennenden Augen immer wieder den Horizont ab, Ausschau haltend nach dem sich unerbittlich nähernden Gefängniswagen.
8
Juli 1692 - August 1692
O bwohl ja eigentlich der August der Monat für tollwütige Hunde ist, geschah es in den letzten Julitagen, dass wir den Köter die Boston Way Road entlang nach Süden trotten sahen. Tom und ich arbeiteten schon seit dem frühen Morgen in der Scheune. Vater hatte sich auf den langen Fußmarsch nach Salem gemacht, ausgerüstet mit einem Sack Lebensmittel, die kaum für einen reichten und nun durch drei geteilt werden mussten. Er achtete stets darauf, dass sich keine Regelmäßigkeit in seine Expeditionen einschlich, voller Furcht, der Wachtmeister könnte den richtigen Moment abpassen und uns holen kommen, während er fort war.
Inzwischen mussten wir alle den Gürtel enger schnallen, und der Hunger war Tag und Nacht unser ständiger Begleiter. Wegen der Hitze war der Shawshin zu einem kleinen Rinnsal geschrumpft. Ballard’s Pond hatte sich in eine Schlammgrube verwandelt, sodass der Wasserspiegel in unserem Brunnen bis hinunter zu den moosigen glatten Steinen gesunken war. Wir hatten so viel Weizen wie möglich geernet, und während Tom für die Tiere frisches Stroh auslegte, drosch und trennte ich kleine Getreidehäufchen. Mäuse waren das Einzige, woran in unserer Scheune Überfluss herrschte, doch da die Kuh in letzter Zeit so wenig Milch gab, verzichtete ich aus Sparsamkeit darauf, Untertassen voll Milch aufzustellen. Die Katzen hatten sich aus Angst vor dem Kettenhund längst getrollt. Während ich zusah, wie die Mäuse frech das Getreide vertilgten, fragte ich mich, wie wir den Winter ohne Brot überstehen
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