Die Tochter der Konkubine
aufgeschreckt. Ein paar larn-jai hatten in der Macaoer Schiffswerft Feuer gelegt, und Indie war durch einen Messerstich verwundet worden. Obgleich Indie wenig Aufhebens davon machte und sagte, die Wunde sei nur geringfügig und das Feuer unter Kontrolle, wusste Ben, dass sein Partner sogar dann noch alles runterspielen würde, wenn er dem sicheren Tod gegenüberstünde. Li drängte ihn, sich die Sache selbst anzuschauen. Er ließ Li in Fischs Obhut zurück, nahm die Pinasse und fuhr mit Vollgas nach Macao.
Es war eine heiße Nacht, und nachdem Fisch zu Bett gegangen war, lag Li schlaflos da. Ihre Ängste hatten durch den Notfall neue Nahrung erhalten. Wenngleich er es nicht erwähnt hatte, wusste Li, dass Ben immerhin so besorgt gewesen war, dass er einen Wachmann eingestellt hatte, der mit seinen Hunden abends seine Runden drehte. Die Fenster ihres Schlafzimmers standen weit auf, um jede noch so kleine Meeresbrise hereinzulassen. Die Gitter am Fenster blieben grundsätzlich abgeschlossen, so dass sie sie nicht hatte prüfen müssen. Ein dünner Mond bestäubte den Garten, warf jedoch nur wenig Licht durch die zarten Wolkenschleier.
Den barfüßigen Eindringling, der sich schattengleich neben ihrem Bett erhob, hatte sie weder gesehen noch kommen hören. Er hielt ihr den Mund zu, hart, grausam, seine Hand schmeckte nach saurem Schweiß. Sie konnte das Gesicht nicht sehen, das über ihr auftauchte, während die Hand eisernen Druck auf ihr Kiefergelenk ausübte, ihn zwang, sich zu öffnen, und gleichzeitig verhinderte, dass ihr ein Laut entfuhr.
» Kung Hai Fat Choy - ein glückliches Neues Jahr, Schöne … oder ist es der kleine Holzapfel? Welche soll es sein, die Süße oder die Saure?«
Instinktiv ließ Li die Hand unters Kopfkissen gleiten, ergriff ihr Haarmesser und riss es hoch. Sie spürte, wie die rasierklingenscharfe Spitze seiner gebogenen Klinge in festes Fleisch schnitt, ehe ihr Handgelenk schraubstockartig gepackt wurde.
»Die Klaue des Bären … ich bin gewarnt worden, konnte aber nicht hören«, knurrte die Stimme. Der Mann verdrehte ihr das Handgelenk, bis sie den Stahlhaken fallen lassen musste. Mit dem Daumen wischte er das Blut fort, das aus der Schnittwunde trat. Wie im schwärzesten aller Träume bemerkte sie, dass der Fingernagel so dick wie Horn war, mit schmutzigem Rand, lang und ungeschnitten.
»Aber die Klaue eines schwarzen Bären ist das nicht … das ist das Kratzen einer streunenden Katze.« Er schmierte das Blut bedächtig, fast schon spielerisch über ihre Stirn und langsam ihre Wange hinunter. »Ich habe keine Angst vor Fuchsfeen«, meinte er spöttisch. »Ich habe mit sämtlichen Dämonen getanzt und bin mit ihrer Musik vertraut.« Der Eindringling bewegte den mächtigen Finger zu einer Stelle an ihrer Kehle, die ihren Chi-Fluss blockierte und sie völlig reglos machte, obgleich sie bei vollem Bewusstsein war. Ein schmutziger Lappen wurde ihr in den Mund gestopft, ein weiterer fest um ihren Kiefer gebunden, damit er auch dort blieb. Dann fesselte er ihre Handgelenke und Knöchel.
Der blutverschmierte Daumen wurde auf einen Punkt auf ihrer Stirnmitte gedrückt, so dass die innere Kraft, die sie gelähmt hatte, wieder freigesetzt wurde. Dann richtete die Gestalt sich auf, so dass nun fahles Licht auf sie fiel. Beim Anblick des Gesichts, das auf sie niederblickte, schnappte sie entsetzt nach Luft - von einem entstellten Auge zog sich ein hässliches Gemisch aus Narbengewebe zu einem verklumpten grauen Ohr und die glänzende Wange hinunter, wo es den halben Mund verzerrte. Primitive chirurgische Eingriffe hatten die Oberlippe zu einem ständigen boshaften Grinsen gehoben, das krumme Zähne entblößte. Die runzelige Haut zog sich weiter zum dicken Hals, über eine Schulter und quer über die Brust. Es war das Gesicht, das sie auf der Fotografie hinter Bens Schreibtisch gesehen hatte.
Sie wandte sich von seinem brennenden Auge ab, doch die kräftige Hand hielt ihren Kiefer fest und zwang sie, ihn anzusehen. Sein Gesicht war nun nur noch wenige Zentimeter von ihrem entfernt.
»Ich möchte, dass du wach bist und mich siehst und hörst … ich werde in die Augen der berühmten Li-Schia, der Schönen, blicken, solange sie noch einen schönen Anblick bietet.«
Er strich ihr das Haar sanft aus der Stirn, Strähne für Strähne. »Verstehst du, kleine tai-tai ? Ich bin Chiang-Wah. Dies war einst das stolze Gesicht eines dai-lo, von hohem Rang in der Bruderschaft ›Gelber Drachen‹ und
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