Die Tochter der Konkubine
von den eigenen Leuten als Dämon gebrandmarkt worden war. Indem sie zu hoch hinausgewollt hatte, hatte sie die unverzeihliche Sünde begangen, diejenigen um sich herum herauszufordern und zu kränken.
All das drückte die trächtige Küchenschabe aus, die tot in ihrer Tasse trieb. Bei ihrem Anblick gefroren Angst und Demütigung, die Li so lange verfolgt hatten, zu einem eisigen Kern, der für Zögern keinen Platz ließ. Sie kehrte in die Küche zurück. Ah-Ho saß an ihrem Tisch, dessen Marmorplatte Sprünge hatte, und führte gerade einen Becher mit grünem Tee an die Lippen.
»In meinem Tee ist eine Küchenschabe. Ich habe daran gedacht, ihn bis zur Rückkehr des Herrn aufzuheben, damit er sehen kann, wie schmutzig seine neue Küche inzwischen ist und wie sorglos seine Bediensteten nach Wochen des Schlendrians in Macao geworden sind. Aber ich glaube, die Küchenschabe hat ihren Weg in meinen Tee gefunden, ohne dass Sie es merkten. Kann das sein?«
Lis Worte trafen auf eine derart feindselige Stille, dass nur das Hühnergegacker im Hof zu hören war. Auf einen Schlag hörten
alle in der Küche zu arbeiten auf. Ah-Hos breites, weißes Gesicht blieb ausdruckslos. Die große Küchenuhr rückte Sekunde um Sekunde tickend voran. Auf Ah-Hos Wangen bildeten sich langsam zwei rote Flecken.
Da sie keine Antwort bekam, sprach Li erneut, deutlich und ohne Hast. »Sie stehen auf, wenn ich mit Ihnen spreche!« Einen quälenden Augenblick lang wartete sie, während sich die Flecken ausbreiteten, dann erhob Ah-Ho sich mit mörderischem Hass in den Augen. »Ich möchte, dass Sie mir eigenhändig und unverzüglich ein Tablett mit heißem Pfefferminztee und zwei Tassen auf mein Zimmer bringen. Dann dürfen Sie die Küchenschabe mitnehmen, und es wird kein Wort mehr darüber verloren. Mit solchen Nebensächlichkeiten möchte ich den Herrn nicht belästigen, aber bevor er zurückkehrt, sollten wir uns über das ein oder andere unterhalten.«
Li drehte sich abrupt um und verließ - seltsam ruhig - die Küche. Nur Augenblicke darauf erschien Ah-Ho mit dem Tee. Sie stellte ihn ab, richtete sich wieder auf und blickte Li mit offener Feindseligkeit an.
Li hatte sich vorbereitet. Sie deutete auf einen Stuhl und sagte in bewusst ruhigem und neutralem Ton: »Bitte, Ah-Ho, setzen Sie sich zu mir und trinken Sie Tee mit mir. Es wird Zeit, dass wir miteinander reden, ehe …«
Ah-Ho schnitt Li mit einer verächtlichen Handbewegung das Wort ab, schloss die Augen und streckte das Kinn vor, als gäbe es die Person vor ihr nicht. »Es gibt nichts zu besprechen, was nicht schon bekannt wäre, aber ich komme mit einer Warnung, die Sie sich zu Herzen nehmen sollten.«
»Dann rufen Sie bitte Fisch her. Ich hätte gern einen Zeugen für das, was Sie zu sagen haben.«
Ah-Ho lachte rau. »Glauben Sie etwa, dass sie nicht schon längst zuhört, wie sie das immer tut, wenn die, die sich ihr Silber verdienen müssen, sich unterhalten?« Mit erhobener Stimme rief sie spöttisch: »Hörst du, alter Hundeknochen? Ich weiß doch, dass du
draußen vor der Tür stehst. Komm und geselle dich zu uns. Wir dürfen unsere Herrin nicht warten lassen!«
Als Fisch hereinkam und sich an Lis Seite stellte, tat Ah-Ho, als verbeuge sie sich. Dann drohte sie Fisch mit dem Finger. »In meiner Gegenwart schweigst du! Du verhältst dich einfach so wie immer und hörst Dingen zu, die dich nichts angehen!«
Sie drehte sich wieder zu Li um, doch Fisch trat zwischen sie, ihre kleine Gestalt aufrecht und würdevoll. »Du kannst mit mir wie mit einem streunenden Hund sprechen, weil ich dich nicht höre. Du wirst fett durch die Arbeit anderer und bereicherst dich an ihnen, aber Drohungen stößt du vor meiner Herrin keine aus …«
»Das Winseln einer Tanka-Hündin höre ich nicht …«, zischte Ah-Ho zornig zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
Li nahm Fisch rasch beim Arm und bedeutete ihr zu schweigen. Ah-Ho wandte sich wieder an Li. »Glauben Sie wirklich, dass Sie, nur weil Ihnen das Hinterteil eines Pavians die Sprache des gwai-lo beigebracht hat, etwas Besseres sind als diejenigen, die Di-Fo-Lo schon seit Jahren dienen?«
Die Ober-Amah tat, als fiele es ihr schwer, sich zu beruhigen, atmete tief ein und verschränkte die Arme. »Glauben Sie, Sie seien die Einzige, die dem Zeugnis anderer lauscht, so wie Sie dem Wort des alten Hundeknochens vertrauen - dass ich nicht weiß, dass Sie Ältere Schwester Ah-Jeh, die gütige Aufseherin von Zehn Weiden, gedemütigt
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