Die Tochter der Konkubine
Ordnung, siu-jeh ?«, flüsterte sie und hörte dann ein Geräusch, das sie nicht einordnen konnte - so schwach wie das Fiepsen einer Maus. Als sie die Tür öffnete, traf es sie wie ein Schlag, ein so seltsamer Geruch, dass sie ihn gar nicht einordnen konnte - der flüchtige Geruch ranzigen Essigs …
Durch den schweren Vorhang ihrer Pein wusste Li, dass Fisch an ihrer Seite war. Sie vernahm die erstickten Schreie der alten Frau, die ihr den Lappen vom Gesicht nahm und aus dem Mund zog. Li drehte das Gesicht in den Schatten und sagte durch Nebel unaussprechlicher Qual: »Lass das Licht aus.« Ihre Worte waren kaum zu hören. »Du musst stark für mich sein. Mein Kind kommt. Tu, was immer du tun musst, um es zu retten. Ich bin über jedes Leiden hinaus.«
Rasch holte Fisch heißes Wasser, Handtücher und eine Kräutermischung, die die Sinne einlullte. Li setzte ihre letzten Kräfte ein, um ihr Kind zu gebären. Als der Säugling entbunden und eingewickelt war, griff Li blind nach Fischs Hand und hielt sie fest. Sie bat nicht darum, ihr Kind zu sehen, sondern wollte nur wissen, ob es am Leben und alles dran war und ob es ein Mädchen war.
»Es ist ein wunderschönes Mädchen, Herrin. Sie ist klein, aber in jeder Hinsicht perfekt. Sie hat schon etwas Haar von der Farbe ihres Vaters und Augen, die wie Perlen glänzen.« Lis Griff umklammerte Fisch fester. »Du musst sie fortbringen, weit fort von hier«, presste
sie mühsam hervor. »Di-Fo-Lo kann sie vor jenen, die geschworen haben, ihn zu töten, nicht retten, und bei dem Versuch würde er sterben. Er versteht die Gefahr nicht, die durch mich in sein Leben getreten ist. Bring sie zu huang-hah, dem See, wo die Götter dich einst in die Welt setzten. Such nach deinem Cousin, dem barfüßigen Arzt. Bring sie in sein Haus, wo sie in Frieden erstarken kann.«
Von Schmerz geschüttelt, schwieg Li einen Augenblick. Als sie wieder sprach, war ihre Stimme nur mehr ein rasselnder Atemzug. Um sie zu hören, beugte Fisch sich näher zu ihr.
»Sie muss lesen und schreiben lernen. Das ist wertvoller als Gold. Versprich mir das!«
Fisch bemühte sich um einen festen und sicheren Ton, doch gegen ihre Tränen kam sie nicht an.
»Ich verspreche, dass dieses Kind alles lernt, was eine Gelehrte lernen muss. Sie wird geliebt und respektiert werden, und für ihre Sicherheit werde ich Himmel und Hölle in Bewegung setzen.«
Li drückte ihr die Hand. »Weine nicht um mich, liebes Tantchen. So stand es auf dem Talisman des Regenvogels. Dir wurde davon erzählt, aber du hast dich nicht getraut, es mir zu sagen. Ich glaube, ich habe immer gewusst, dass ich mich nicht lange auf der Spitze des Berges aufhalten würde.«
Sie hob eine Hand, nahm noch einmal all ihre Kräfte zusammen. »Auf der Frisierkommode, im Muschelkästchen, befinden sich wertvolle Dinge. Am wertvollsten sind mein Tagebuch und Pai-Lings Aufzeichnungen. Auf ihren Seiten sind die tausend Goldstücke, so, wie ich sie gefunden habe. Es wird ihr von meiner Reise erzählen und vielleicht ihre Schritte leiten.« Mit zitternder Hand nahm Li die goldene Guinee von ihrem Hals ab.
»Gib ihr die, das erste ihrer tausend Stücke. Sag ihr, dass ich immer bei ihr sein werde. Sie muss nur die Augen schließen und nach mir rufen. Dann sind da noch Schmuckstücke und andere Dinge, die wertvoll für mich sind. Nimm sie mit und gib sie ihr, wenn sie zehn Jahre auf der Welt ist, und bringe sie zu ihrem Vater, wenn sie bereit ist.«
Das Beruhigungsmittel hatte das Leiden, das sie so ganz und gar vereinnahmte, betäubt, doch fand sie in ihrem Kopf ein Fenster, das immer noch offen stand, ein Licht, das sie durch den ganzen Schmerz zu einem Augustmond führte. »Du musst dich jetzt auf den Weg machen, in dem Sampan an der Anlegestelle. Nimm sie fort, ehe Master Ben zurückkehrt.«
Dann betrat Li ein Reich ohne Schmerz, Angst oder Trauer, in dem sie den gedämpften Schrei ihres Kindes hörte und, Augenblicke später, das Schließen der Tür. Mit letzter Kraft erhob sie sich wie im rätselhaftesten Traum von ihrem Bett. Langsam stieg ein blutroter Vorhang empor. In Trance ging sie auf die Marmorterrasse hinaus, kalt unter ihren Füßen. Der wie ein Signalfeuer glühende Mond wurde plötzlich in eine silbern umrandete Wolkendecke gehüllt. Sie bewegte sich auf die Balustrade zu und merkte, dass selbst nachts der Duft von Chrysanthemen und Tagetes schwer in der Luft lag. Die Meereswinde peitschten wie Feuer gegen die Maske, die ihr Gesicht
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