Die Tochter der Konkubine
Gestalt, die sich lautlos über das Kind beugte und es betrachtete. »Wer ist da … Cousin, bist du es?«, fragte sie laut. Als keine Antwort kam, fragte sie noch einmal, setzte sich auf und rieb sich den Schlaf aus den Augen. Die Gestalt richtete sich rasch auf und entpuppte sich als ein Junge, der in der einen Hand einen beitkrempigen Strohhut hielt, in der anderen einen langen Holzstab, wie ihn die Hirten benutzten.
»Vergib mir, Ah-Paw, bitte haben Sie keine Angst. Ich bin gekommen, um der meinen Respekt zu zollen, die nun meinen Platz in Meister Tos Haus einnimmt.« Er hatte die Stimme eines Jungen, der kurz davorsteht, ein Mann zu werden. Er hatte sie ehrfurchtsvoll mit »Ältere Schwester« angesprochen, trotzdem fühlte sie sich in seiner Gegenwart seltsam unwohl.
»Hat dir mein Cousin die Erlaubnis gegeben, dich in sein Haus zu schleichen, während seine Gäste schlafen? Geh weg von dem Kind. Und komm nicht wieder hier herein, bevor er nicht zurückgekehrt ist!«
Als wäre Fisch eine hochstehende Persönlichkeit, verneigte der Junge sich tief, stützte sich auf seinen Stab und schwenkte seinen Hut. »Die Milch, Ah-Paw. Ich habe die Ziege gemolken wie jeden Morgen. Die Milch steht jetzt auf dem Tisch, und in der Schüssel sind Eier, die noch nestwarm sind.«
Ihre Augen hatten sich jetzt vollständig an das Dämmerlicht gewöhnt, sie konnte den Milchkübel und die Holzschale deutlich erkennen. »Morgen kannst du die Milch und die Eier einfach vor die Tür stellen. Wenn ich sie brauche, hole ich sie mir schon.«
»Aber, Ah-Paw, es gibt doch die Hunde aus dem Lager der Schilfschneider und ihre diebischen Kinder …«
Fisch merkte, wie sie immer unruhiger wurde. »Wie heißt du?«, wollte sie wissen.
»Ich heiße Ah-Keung. Ich bin der Schüler von Meister To, und er ist mein geliebter si-fu .« Er verneigte sich wieder. »Außerdem sammle ich Kräuter auf fernen Hügeln und hüte die Ziegen der Schilfschneider.«
»Ich danke dir für die Milch und die Eier, Ah-Keung. Bitte geh jetzt. Ich werde das Ganze mit meinem Cousin besprechen. Bis dahin tritt nicht mehr über diese Schwelle.«
Er verneigte sich ein letztes Mal, drehte sich um und verschwand.
Mit der ersten Morgenröte kehrte der alte To mit einem Bündel Katzenfische zurück, die er an ihren Kiemen auf ein Schilfrohr aufgefädelt hatte. Seine Cousine saß da und wartete auf ihn, das Kind in den Armen. Ohne Zeit zu verlieren, erzählte sie ihm von dem Hirtenjungen.
Er legte die Fische auf dem Säuberungstisch neben der Tür ab und fing an, sie abzuschuppen. »Sei dem Jungen nicht böse«, meinte er nachdenklich. »Er sucht nach Kräutern und schlägt Feuerholz, melkt die Ziege und fegt den Pfad zu meiner Tür. Und dafür
bekommt er einen Schlafplatz und Essen.« Er wirkte zögerlich, als fiele es ihm schwer, darüber zu sprechen.
»Er war mein letzter Schüler«, sagte er schließlich, während er das rosafarbene Fleisch in Streifen schnitt. »Seine Familie legte ihn auf den Tempelstufen ab, noch ehe er laufen konnte. Er war mit einem verdrehten Fuß gestraft, deshalb konnten sie ihn nicht gebrauchen. Die Mönche gaben ihm zu essen, und als er größer wurde, fegte er den Innenhof und zündete die Räucherstäbchen an, um sich seinen täglichen Reis zu verdienen. Wenn er den Tempel verließ, verhöhnten ihn die Dorfkinder aufs grausamste: Weil er seinen nutzlosen Fuß nachschleifte, nannten sie ihn den Hundejungen. Er bettelte darum, zur Verteidigung seiner Ehre die Kunst des Tempelboxens erlernen zu dürfen, aber man hat es ihm nicht erlaubt … Vielleicht, weil der Junge lahm war, vielleicht, weil sie ihn für ungeeignet hielten, Krieger zu werden.«
Er ging zur Feuerstelle, verschob die glühenden Kohlen und fing an, den Fisch in einer Pfanne zu braten.
»Ganz aus Stein war das Herz des Abts allerdings nicht: Er willigte ein, den Hundejungen im Tempel aufzunehmen, allerdings nur, um in der Küche zu arbeiten. Als die Novizenmönche, die sich ja gern über Wunder unterhalten, über mich plauderten, hörte der Junge von mir.« Unter lautem Prasseln drehte er den Fisch mit Essstäbchen um.
»Es war Winter. Die meisten Sampans lagen ungenutzt an ihren Ankerplätzen, und nur wenige Fischer fuhren auf den See hinaus. Der Hundejunge aber überquerte den See allein, schwamm durch das eisige Wasser und zerrte seinen lahmen Fuß meilenweit durch eiskalten Schlamm.« To hielt kurz inne, als müsste er seine Gedanken ordnen. »Ich entdeckte ihn im
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