Die Tochter der Konkubine
unsicher, ob dies wirklich ihr Cousin sein konnte - der mutige, halbnackte Junge, der sie vor so langer Zeit aus dem reißenden Gewässer des Tung-Tings gezogen hatte, dass die Erinnerung daran einem Traum glich. Vom Alter her kam es hin, aber obwohl er ein Dutzend Schritte entfernt im Halbdunkel saß, konnte man sehen, dass es sich um keinen gewöhnlichen Mann handelte.
Er war überdurchschnittlich groß, hielt sich aufrecht wie ein Jugendlicher, und seine Bewegungen waren geschmeidig: Er schien umgeben von einem zarten Licht so golden wie die untergehende Sonne. Er trug ein einfaches aschgraues Gewand, das um die Hüfte von der verblichenen safrangelben Schärpe eines taoistischen Mönchs zusammengehalten wurde. Sein weißes Haar war locker geflochten und wurde von einem Riemen lose zusammengehalten, sein weißer Bart war fein wie wilde Baumwolle und sein Gesicht braun wie eine Feige. Erst als Fisch näherkam und einen langen Schatten auf seine Türschwelle warf, hielt er inne und blickte auf. Als er ihr sein heiteres Gesicht zuwandte, mit Augen so blau wie der Frühlingshimmel, wusste sie, dass sie ihn gefunden hatte.
Er erkannte seine Cousine nicht, bis sie ihm die Schriftzeichen ihrer Sippe zeigte, die in die Innenseite ihres Jadearmreifs geritzt waren, den sie am Handgelenk trug. Auf seine ruhige Art, die auf sie wie Balsam wirkte, nahm er ihr behutsam das Tragetuch von der Schulter. »Ich dachte, du hättest dich zu unseren Vorfahren gesellt und ich wäre der Letzte aus unserem Geschlecht. Und nun stehst du vor mir, Cousine Kwai. Die Götter, die uns als Kinder gerettet haben, haben uns jetzt, wo die Zeit knapp wird, wieder
zusammengeführt. Sicherlich gibt es einen Grund für eine solch wundersame Begebenheit.« Seine Stimme war so leicht und sanft wie sein Lächeln.
»Ich bin von Hongkong hierher gereist, Cousin, aus dem Haus eines guten Herrn. Es gibt so viel zu erzählen! Aber als Erstes bringe ich dir ein Leben, das du retten musst.«
Vorsichtig öffnete er die Stofffalten, die das kleine Mädchen umschlossen, und betrachtete es, als wäre es ein verletzter Vogel, der den Sturm überlebt hat.
»Du hast sie gerade noch rechtzeitig hergebracht. Ein weiterer Tag, und sie wäre von uns gegangen.«
Er bereitete einen Trank zu und ließ ihn in einem Tonkrug abkühlen. Dann fütterte er das Baby damit geduldig mit einem Porzellanlöffel. »Letzte Nacht habe ich ein Zeichen gesehen - eine Sternschnuppe über dem See. Noch nie habe ich eine gesehen, die so nah und hell war wie diese und noch dazu purpurfarben leuchtete.« Er lachte leise. »Auch dieses Kind umgibt eine solche Aura.«
»Sie wurde unter Schrecken geboren, viele Wochen zu früh, am Neujahrsabend. Eigentlich ist sie also schon ein Jahr alt, sie hat ein Lebensjahr dazubekommen.«
Ihr Cousin lächelte, als sich eine kleine Faust um seinen Finger schloss. Er hob sie an, um ihre Kraft zu prüfen. »Ihr vorhimmlisches Chi ist großartig, und ihr Geist ist stark. Sie hängt an ihrem Leben wie eine Kriegerin. Dies ist kein gewöhnliches kleines Mädchen.«
Fisch nickte zustimmend. »Ihre Mutter war eine Kämpfernatur, und ihr Vater galt selbst unter den westlichen Barbaren als grimmig. Sie haben einander sehr geliebt … genug, um einer Welt zu trotzen, die es als Sünde betrachtet, wenn Blut sich mischt. Sie haben sich darum nicht geschert; fanden Schutz in ihrem Stolz und ihrem Mut. Nur Verrat hat sie schließlich besiegen können.«
Fisch kam nicht länger gegen ihre Müdigkeit an. All die langen Tage und Nächte ihrer Reise hatte sie nur das Kind im Kopf gehabt und sich an die Hoffnung geklammert, dass sie ihren Cousin
finden und von ihm aufgenommen würde. Nun, da sie ihre Last in seine gütigen Hände gelegt hatte, verließ sie ihre Kraft. Der alte To griff nach ihrem Arm und drückte seine Fingerspitzen sanft auf ihre schlanken Handgelenke, um an ihrem leisen Puls ihre Lebensenergie abzulesen.
»Du hast dich wacker geschlagen, Cousine; das Chi deiner Sippe fließt immer noch kräftig in dir. Ich werde ein Essen und einen Trank zubereiten, die dir Trost und Erholung schenken. Du hast nichts mehr zu befürchten.« Energisch massierte er ihr die Hände. Fisch spürte, wie sie von neuer Energie und Kraft erfüllt wurde.
Er machte sich daran, die Lampen zu entzünden und Essen zuzubereiten. »Ich sprach von einer Sternschnuppe, die letzte Nacht so hell wie ein Mondsplitter über den Himmel schoss.« Mit seiner Fingerspitze zeichnete er einen
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