Die Tochter der Konkubine
weitergerreicht wurden. Sie werden durch die Macht ihrer Geister geschützt. Wenn ich dich verlasse, werde ich acht Haare von meinem eigenen Kopf hinzufügen, und dann wird das Amulett an dich weitergereicht.«
»Ich würde mir keinen Sonnenaufgang ohne dich an meiner Seite wünschen.« Sing konnte ihre Gefühle nicht im Zaum halten, obwohl sie wusste, dass sie es versuchen musste.
»Die Sonne wird genauso gewiss und so herrlich aufgehen, wenn ich nicht an deiner Seite bin. Ich lehre dich nicht, von mir oder irgendjemand anderem abhängig zu sein, sondern ohne Angst oder Zaudern auf eigenen Füßen zu stehen und deinen eigenen Weg zu gehen.« Er sagte es ohne Zorn, jedoch mit einem warnenden Unterton.
Am Eingang zum Felsen, der von Mimosen beschattet wurde, diente ein umgestürzter Baumstamm als Sitzmöglichkeit, wenn man sich ausruhen wollte. Meister To saß nun darauf und bedeutete Sing, neben ihm Platz zu nehmen. Aus einem Tonkrug goss er Ginsengtee in zwei Tassen und reichte ihr eine davon. »Noch zwei Jahre, dann ist deine Ausbildung als meine Schülerin abgeschlossen, und es kommt die Zeit für unseren Aufbruch in die Welt jenseits der Berge. Wenn ich kann, werde ich an deiner Seite sein, aber wenn es denn nicht sein soll, wirst du ohne mich reisen. Dann musst du in dir selbst das Vertrauen finden, der Welt entgegenzutreten. Der Geist des Weißen Kranichs wird immer mit dir reisen, egal, wohin du gehst, und was immer vor dir liegen mag.« Er nippte an dem Tee und sah sie eindringlich an.
Sein Lächeln ist verschwunden , dachte Sing. Einen Augenblick sah er sie mit seinen steten blauen Augen forschend an, ehe er sprach. »Gemäß der Tradition des wu-shu wird der letzte Schüler auf alle Dinge vorbereitet. Dabei muss der Meister entscheiden, ob es dieser Schüler wert ist, die größten und fortgeschrittensten Geheimnisse zu erfahren, ehe er das Zeitliche segnet.
Es wird di-muk genannt - die Berührung des Todes.« Seine
Stimme war tief und ruhig, sein Blick stet. »Am menschlichen Körper gibt es neun Stellen, die, wenn sie von einem Experten getroffen werden, zum sofortigen Tod oder zur immerwährenden Unbeweglichkeit des Gegners führen können.« Er wartete, damit Sing die ganze Tragweite seiner Worte begreifen konnte. »Nur die vertrauenswürdigsten und fähigsten Schüler dürfen darin unterrichtet werden. Deshalb konnte ich Ah-Keung auch nicht länger unterrichten. Di-muk darf nicht in falsche Hände geraten, andernfalls muss der Meister sich vor Kuan-Kung, dem Gott des Krieges, verantworten.
Du hast dir mein Vertrauen und meinen Repsekt verdient, und deshalb werde ich dir di-muk beibringen. Es wird nun zwei Jahre lang in unser tägliches Training mit aufgenommen … ein einziger Schlag, der nur bei Lebensgefahr eingesetzt werden darf.« Er hielt inne. »Einem anderen das Leben zu nehmen heißt, den Geist des Unterlegenen dazu einzuladen, Rache zu nehmen. Im Fall der Fälle kannst nur du allein diese Entscheidung treffen. Ich kann dir aber versichern, dass es der letzten Schülerin von Meister To nie an Hilfe mangeln wird.« Er griff in sein Gewand und holte aus einer verborgenen Tasche eine schmale Bambusbüchse hervor. »Hierin befinden sich acht Schriftrollen. Sie sind nur zwanzig Zentimeter lang und haben nur einen Umfang von zwanzig Zentimeter, und doch beinhalten sie die Antworten auf alles, was ich und die Meister vor mir uns über das Universum gefragt haben. Achthundert Jahre Weisheit bewohnen diesen kleinen Raum. Es wird Pa-Tuan-Tsin genannt - Die Edlen Acht, die den Unsterblichen zufolge das Geheimnis der Langlebigkeit enthalten.« Er schraubte den Deckel auf und hielt sie hoch, so dass sie hineinsehen konnte. »Sie wurde von einem fernen Ahnen im Shaolin-Tempel aus dem heiligen Baum geschnitzt, der einst Buddha beschattet hat.«
Er zog eine eng zusammengerollte Pergamentrolle heraus und entrollte sie ein Stückchen, um zu zeigen, dass sie von winzigen kalligraphischen Zeichen bedeckt war. »Als ich jung war, hatte ich Augen wie ein Luchs. Ich konnte so gut sehen, dass ich meinen Namen
auf ein Reiskorn schreiben konnte. Damals war ich Novize im Kloster, und die Zeit war mein bester Freund.«
Er steckte die Schriftrolle zurück und schraubte die Büchse wieder zu. »Sie enthält auch einen Brief, der mit meinem Siegel verschlossen ist. Wenn ich nicht mehr bei dir bin und du Unterweisung brauchst, bringst du ihn zu Meister Xoom-Sai, den Abt von Po-Lin, dem Tempel des wertvollen Lotus auf
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