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Die Tochter der Konkubine

Die Tochter der Konkubine

Titel: Die Tochter der Konkubine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pai Kit Fai
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gewirkt hatte, oder den Lauten der Lust lauschen.
    Dass Meister To von allem Vergangenen, Gegenwärtigen und Zukünftigen wusste, wurde am Morgen klar. Als die Meditation
und das Training zu Ende waren und sie unter dem Birnbaum saßen, um ihr Morgen-Congee zu essen, sprach er mit der Stimme ihres si-fu : »Heute Morgen warst du auf dem Felsen nicht so kräftig oder schnell wie sonst. Ist etwas geschehen, das dich derart ermüdet hat?«
    Sing hatte keine Antwort parat. Wie konnte sie ihm von der Verletzung erzählen, die Bauchkrämpfe verursachte und wie eine offene Wunde blutete? Er streckte den Arm aus und legte seine Hand auf ihre, tätschelte sie, wie er es schon getan hatte, als sie noch kaum die Wiege aus Pfirsichbaumholz verlassen hatte.
    »Ich glaube, letzte Nacht bist du zu einer jungen Frau geworden … ich habe die Zeichen gesehen. So etwas brauchst du vor mir nicht verbergen. Ich bin dein si-fu , aber ich bin jetzt auch Vater und Mutter, Bruder und Schwester für dich, und wir brauchen keine Geheimnisse voreinander zu haben. Auf dem Felsen bist du die Schülerin Roter Lotus, aber hier bist du Kleiner Stern, ein hübsches Mädchen wie jedes andere auch.«
    »Danke, si-fu , aber was, wenn das Ganze eine Bestrafung ist? Habe ich die Götter beleidigt?«
    »Nein, das ist ihre Segnung, um dich auf den Schmerz vorzubereiten, wenn du eigene Kinder gebierst.« Er sprach geduldig, unerschüttert von ihrer Neugierde. »Aus dem Blut, das du verlierst, erwächst eines Tages vielleicht ein Kind, und möglicherweise wirst du die damit verbundenen Freuden kennenlernen. Diese Gefühle sind natürlich, aber du musst sie unter Kontrolle halten, wenn du all das, wofür du gearbeitet hast, auch erreichen möchtest.«
    Erleichtert darüber, dass sie nicht an ihren Wunden sterben werde, war Siu-Sing fast versucht zu erzählen, was sie im Schilf gesehen hatte - zu fragen, ob es falsch war, beim Anblick eines unbekleideten Mannes derart neugierig zu sein. Schließlich entschied sie aber, dass es, da sie es im Geheimen und Verborgenen erlebt hatte, auch geheim bleiben sollte und die Antwort auf solche Fragen im eigenen Herzen und Kopf gefunden werden müsse, falls so ein Augenblick je einträte.

    Sing glaubte so bedingungslos an Meister Tos Lehren, dass sie selten das Bedürfnis hatte, ihn etwas zu fragen. Wenn sie es tat, antwortete er nur, wenn er meinte, dass die Frage auch eine Antwort verdiente. Wenn nicht, forderte er sie auf, die Antwort darauf selbst zu suchen. Sing fand ihre eigenen Fragen und suchte ihre eigenen Antworten, wenn irgend möglich. Doch eines Tages ertappte sie sich bei der Frage: » Si-fu , ich habe viele Jahreszeiten auf dem Felsen geübt und verstehe allmählich die Kunst der leeren Hand. Aber wenn ich von hier fortgehe und wir die Sonne nicht mehr gemeinsam begrüßen, wie schule ich dann weiter meine Fertigkeiten?«
    »Das Leben wird dir nicht immer die Zeit dazu lassen oder einen Ort dafür bereitstellen.« Er tippte sich mit einer Fingerspitze auf die Stirn und legte sich die andere Hand aufs Herz. »Du musst hier drinnen trainieren, und hier drinnen. Das kann dir niemand nehmen. Egal, wo du bist, es wird immer ein neuer Tag anbrechen, immer eine Ruhe vor dem Sonnenaufgang geben. In der Stunde vor der Morgendämmerung gehört die Welt dir allein. In deinem Herzen und Kopf wirst du zum Felsen zurückkehren … du wirst den Kranich auf der Sandbank und den Tiger im Schilf sehen. Du wirst ihren tödlichen Kampf beobachten und sehen, wieso der Kranich triumphiert. Du bist der Kranich, und du wirst nie zu Fall kommen. Man nennt es spirituelles Boxen.«
    Meister To löste ein Amulett von seinem Hals und gab es ihr. In das runde Jadestück waren ein Kranich und ein Tiger geschnitzt. Die Kette, so leicht und glänzend wie ein Seidenband, bestand aus winzigen schwarzen, bronze - und silberfarbenen Gliedern. Sie fühlte sich heiß in Sings Hand an, während sie sie betrachtete.
    »Unter den Weisen sind Jadesteine als Himmelstränen bekannt … bei den Kriegern als Drachenblut. Es heißt, durch Hautkontakt verstärke sich ihr Glanz, sie halte die Lebenskraft ihres Trägers, und man könne die Kraft derjenigen, die vor uns gegangen sind, im Kampf abrufen. Dieses Amulett haben schon viele Meister getragen. Schau, durch die Größe ihres Chi ist es schon so grün wie Moos an einem heiligen Baum geworden. Die Kette wurde aus
ihrem Haar gewebt - acht Strähnen von jedem Meister, die an den jeweiligen Schüler

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