Die Tochter der Konkubine
auszuspülen. Er bespritzte sich die Brust und wischte sie sich mit dem Hemd sauber. »Wir sind vom gleichen Schlag, du und ich. Wir haben zu unserem Schutz nur unsere Fertigkeiten. Lass uns Freunde sein. Auch ich reise zum Goldenen Hügel. Seitdem ich Ziegen gehütet und mit Spinnen geschlafen habe, bin ich viele Male dort gewesen. Ich habe auf Flussdschunken gearbeitet, um mir die Fahrt zu verdienen, und kenne den Reiseweg gut. Vielleicht reisen wir zusammen, der große si-fu und seine Schüler. Schauen wir mal.«
Als Zeichen des großen Respekts eines zurückgekehrten Schülers vor seinem Meister verbeugte sich Ah-Keung dreimal tief. »Meister To, als Junge habe ich Sie enttäuscht und war Ihrer Lehren nicht würdig. Ich war ein Hund mit einem gebrochenen Fuß, der keine Ehre kannte. Dank Ihnen bin ich ein Mann, der aufrecht und hoch erhobenen Hauptes daherkommt.« Mit beiden Händen hielt er ihm
das Fläschchen hin. »Ich bitte Euch um Vergebung. Der Fuß, den Ihr so gut geheilt habt, hat yan-jing-shi getötet und den Kleinen Stern gerettet. Ich biete Euch die Essenz des Lebens an.«
Meister To verneigte sich im Gegenzug ebenfalls vor dem Energischen. »Stimmt das?«, fragte er Siu-sing.
»Ja, si-fu . Die Waldkobra hat mich am Grab meiner paw-paw erwartet. Ah-Keung war furchtlos. Er hat sie mit Mut und großem Geschick zur Strecke gebracht.«
Meister To nahm das Fläschchen und leerte den bitteren Trank mit einem Zug. »Du hast meinen Dank, Ah-Keung. Dein Respekt ehrt mich.«
Der Energische verbeugte sich. »Ich bitte nur darum, Sie in die Welt jenseits der Berge begleiten zu dürfen. Ich bin kürzlich von dort hierhergekommen und bitte darum, Ihr Diener zu sein und Ihre Reise in die Wege zu leiten.« Er grinste. »Die Matrosen kennen Ah-Keung gut und werden mich nicht übers Ohr hauen.«
Siu-Sing schlief tief und fest und länger als je an einem anderen Morgen zuvor. Normalerweise stand Meister To stets als Erster auf, zündete die Lampe an, rechte die Kohle unter dem Kochherd und holte Wasser aus dem Krug - ein beschaulicher Tagesanfang. An diesem Morgen blieb es in der Hütte dunkel, doch das erste Licht, das durch das Fenster hereinkam, fiel von weiter oben und war heller als sonst. Sie horchte, ob Meister To am Krug herumhantierte, doch nichts störte den schrillen Zikadengesang im Bambus.
» Si-fu , bist du wach?«, flüsterte sie, doch ihre Worte verhallten. Die Öllampe war nicht angezündet worden, noch das Feuer unter dem Congee-Topf. In seiner dunklen Ecke rührte sich nichts, und sie lauschte auf seine regelmäßigen Atemzüge. »Es ist Zeit aufzustehen, si-fu «, flüsterte sie. » Si-fu , bist du da?«
Nicht Angst war es, die Siu-Sing überkam, als sie auf seine Seite kam - gewiss konnte es in der Gegenwart des Meisters keine Angst geben -, aber wieso regte er sich nicht, der sich sonst so schnell in Alarmbereitschaft befand, und gab auch keinen Ton von sich? Sie
griff in die Dunkelheit, um ihn zu wecken, und fand seine Hand. Sie war leicht warm, doch regte er sich bei ihrer Berührung nicht. Selbst als sie seinen Namen sprach und seine Hand fester umklammerte, rührte er sich nicht. Wie er es ihr beigebracht hatte, tastete sie mit den Fingerspitzen nach dem Puls an seinen Handgelenken. Er schlug so schwach wie der eines Vogels, und als sie ihr Ohr an sein Herz drückte, stockte der stete Schlag wie ein müder Fußschritt.
Sie zog das Flanellhemd beiseite, in dem er schlief, und tastete nach dem Blutfluss in seiner Halsbeuge. Auch dieser war so schwach wie eine treibende Schneeflocke.
»Was ist denn los, Kleiner Stern? Das Flachboot wird bereits beladen, ist dem Meister nicht wohl?« Plötzlich befand Ah-Keung sich an ihrer Seite. Er blickte auf sie herunter.
»Irgendetwas stimmt nicht - ich kann ihn nicht wecken! Wir müssen ihm helfen! Für Notfälle benützt er immer ein bestimmtes Kraut …«
Sie eilte zum Regal, wo solche Dinge aufbewahrt wurden.
»Ich glaube, es ist zu spät. Unser si-fu hat uns verlassen.« Ah-Keung hatte die Nachttischlampe angezündet. Siu-Sing sah, dass die Augen des Meisters weit offen standen, ihr Glanz getrübt und still, die Lachfalten wie zerknitterte Seide.
Das Lampenlicht warf Ah-Keungs Schatten an die Mattenwände, bis er die Hütte zu erfüllen schien. Er fiel neben ihr auf die Knie und suchte, so wie sie es getan hatte, eilig nach seinem Puls. »Er ist von uns gegangen, Kleiner Stern«, sagte er mit stockender Stimme. »Und das Jadeamulett ist
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