Die Tochter der Konkubine
Platz an Deck, wo sie keinen neugierigen Blicken ausgesetzt war. Unter angebundenem Vieh und Kisten mit Geflügel ganz vorn am Bug schuf sie sich Platz genug, um sich im Tauwerk zusammenrollen zu können. Dort blieb sie und zog sich bei Einbruch der Nacht eine Segeltuchabdeckung über den Kopf.
Noch immer so weit vorn im Bug versteckt wie möglich, beobachtete sie in der Morgendämmerung die grünen und gelben Strudel des Flusses, während ihr ein frischer Wind um die Nase blies. Orangen - und Kirschhaine reichten bis ans Ufer, die ordentlich aufgereihten Reisterrassen glitten mit dem steten Rollen der Dschunke vorbei. Von einem gefährlichen in den Fels gehauenen Treidelpfad aus schulterten Schiffszieher unter Gesang das schwere Zugseil und zogen beladene Sampans durch die Schluchten.
Während die Dschunke gezogen wurde, hatte die Mannschaft
nicht viel zu tun. Dafür fand sie an Deck eigene Unterhaltungen - man spielte Karten, würfelte, trank billigen Fusel und rauchte grünen Tabak. Ah-Keung hatte sich unter ihnen Anerkennung verschafft. Siu-Sing war es sehr recht, dass er sich wenig um sie kümmerte, war aber auch froh darüber, dass sie unter seinem Schutz stand. Sie fürchtete sich vor der Mannschaft, betrachtete es jedoch als sinnlos, ihr Chi auf Leute zu verschwenden, die sich nicht waschen konnten und sich wie Affen in einem Brotfruchtbaum aufführten.
Am zweiten Abend führte Ah-Keung eine Gruppe von Männern an, die ihn für eine erfrischende Gesellschaft hielten. Würfel rollten, die Glücksgötter wurden angerufen, man trank Wein und amüsierte sich und fluchte. Siu-Sing konnte hören, wie der Energische alle um sich herum mit unbekümmertem Selbstvertrauen herumkommandierte.
Sie hob die Leinwand so viel, dass sie die Gruppe sehen konnte, die im Kreis um eine Drucklampe hockte, deren greller Schein die Gesichter erhellte. Ein großer Weinkrug machte die Runde; Tabakrauchschwaden trieben zwischen ihnen. Es herrschte ein rauer, derber Ton. Die Stimme eines älteren Mannes erhob sich wie das Knurren eines Wolfes.
»Für einen lahmen Hund, der eigentlich nur dazu taugt, Mönchen die Füße zu lecken und den Ziegen zu folgen, hast du Glück.« Er bekam keine Antwort, doch die Stimme ließ nicht locker, wurde aggressiver. Die anderen verstummten. »Bist du nicht der Hundejunge, dessen Töle von Mutter ihn unter anderleuts ungewollten Welpen abgeladen hat, die in der Gosse nach Fressen schnüffelten?«
Als Ah-Keung schließlich antwortete, war es, als würde er einen vorbeiziehenden Schatten ansprechen. Er legte sich eine Hand ans Ohr.
»Habe ich da etwas gehört … oder war’s der Furz eines Esels, der derart die Luft verpestet? Soll er doch mal aufstehen, damit wir sehen können, ob seine Eier so groß sind wie sein Maul!«
»Wenn ich aufstehe, Hundejunge, dann nur, um ein kläffendes Hündchen auf seinen Platz zu verweisen. Ich heiße Xiang, der Spurenleser.
Ein Name, den du nicht vergessen wirst, falls ich deinetwegen aufstehen sollte.« Die betrunkene Stimme fuhr fort. »Ich habe gehört, du hast auch mit den Hühnern und Ziegen vor der Hütte des Alten To geschlafen, weil er dich für unwürdig hielt, sein Schüler zu sein.« Der Spurenleser wurde durch vereinzeltes Gelächter weiter angestachelt. »Er hat ein kleines Kind vielversprechender gefunden … ein jarp-jung -Mädchen, das man aus seiner Wiege genommen hatte. Sie und das alte Tankaweib haben sich deinen Platz in seinem Haus geteilt und den Schutz seiner unheimlichen Kräfte genossen.«
Das Gelächter schwoll zu einem Crescendo heiseren Gewiehers an. Der Spurenleser erhob sich, ein kleiner Mann mit dickem Nacken und kurzen Armen. Er strahlte über den durch einen plumpen Witz errungenen Sieg. »Aber der Alte To wurde wie die Hexe vor ihm in die Hölle geschickt. Hatte der hungrige Hund da seine Hand im Spiel - hat er die Hand des Meisters gebissen? Ist es Geld aus der Silberschatulle unter dem Bett des Einsiedlers, das einem wertlosen Krüppel zu Reichtum verhilft?«
»Die Zeit des Alten To war abgelaufen, er war über neunzig. Er hat zu viel Ginsengtee getrunken … das hat zum Herzstillstand geführt.« Ah-Keungs Antwort kam ruhig, die unterschwellige Drohung darin nahm die laute Menge nicht wahr. Xiang der Spurenleser hatte noch nicht genug.
»Und die alte Bissgurke, die im Marschland ertrunken ist? Es heißt, sie hätte kein Zeichen bei sich getragen, sie sei eine Tankafrau mit dem Herzen einer Tigerin gewesen, die ihr Junges
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