Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Tochter der Konkubine

Die Tochter der Konkubine

Titel: Die Tochter der Konkubine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pai Kit Fai
Vom Netzwerk:
vom blassesten Glyzinienton zum vollen Purpur der Iris, auf den Leib geschneidert hatte. Das war, so entschied sie, ihre Glücksfarbe.
    Ihre Ausbildung in der Taverne der herabstürzenden Juwelen kam ihr zugute: Die müden Kunden, die darauf brannten, ihren tai-tais für ein, zwei Stunden zu entfliehen, schienen leicht zufriedenzustellen zu sein, und sie lernte rasch, solche Männer mit minimalem Aufwand um ihr Geld zu erleichtern.
    Für jeden Drink, den ein Kunde kaufte, erhielten die Hostessen eine kleine Provision. »Ein Glücksdrink«, der aus nichts anderem als Coca-Cola oder kaltem Tee bestand, kostete dasselbe wie ein Fünf-Sterne-Brandy oder ein zwölf Jahre alter Whisky. Bald schon reichte Siu-Sing mehr Getränkerechnungen ein als jede andere Hostess, und die Gesellschaft keiner anderen wurde so oft verlangt wie die ihre. Nach kaum einem Monat gab Drei-Daumen-Poon, der sah, wie beliebt sie bei seinen bedeutendsten Kunden war, Siu-Sing und Rubin zur Unterhaltung ihrer Kunden eine eigene kleine Suite. Hoch über dem Chaos der Straßen unten reichte der Ausblick von ihrem kleinen Balkon über die weite Fläche des Victoria-Hafens bis hin zum weit oben gelegenen Kowloon. Von dieser Suite aus kümmerte sie sich um die Bedürfnisse einer Prozession von Kunden, die sie nicht mehr interessierten als der Herzog der goldenen Persimone.

    Die, die nach ihren persönlichen Diensten verlangten, bezahlten einen hohen Preis. Ihre Techniken waren so ausgefeilt, dass sie einem Mann für ein paar Augenblicke unbeschreiblicher Wonne jeden Cent aus seiner Tasche und von seinem Scheckheft abluchsen konnte. Keinem Mann war es gestattet, Siu-Sing zu berühren, dennoch gab es keine Probleme, und die, die es sich leisten konnten, wurden Stammkunden bei ihr. Sie ging nicht sofort schlafen, wenn ihre Schicht beendet war, sondern suchte sich einen Platz auf dem Dach, wo sie sich die Worte ihres si-fu ins Gedächtnis rufen konnte: »Egal, wo du bist, es wird immer ein neuer Tag anbrechen, immer eine Ruhe vor dem Sonnenaufgang geben. In der Stunde vor der Morgendämmerung gehört die Welt dir allein. In deinem Herzen und Kopf wirst du zum Felsen zurückkehren … du wirst den Kranich auf der Sandbank und den Tiger im Schilf sehen. Du wirst ihren tödlichen Kampf beobachten und sehen, wieso der Kranich triumphiert. Du bist der Kranich, und du wirst nie zu Boden gehen. Das Ganze nennt sich spirituelles Boxen.«
    Hoch über den nie zur Ruhe kommenden Straßen beobachteten sie und Rubin, wie der Hafen in der Morgendämmerung zum Leben erwachte. Mit der Glücksseide im Haar und dem Jadestein warm in der Hand, schaute Siu-Sing sich die Schiffe aus jedem Winkel der Welt an und fragte sich, ob sich ihr Vater vielleicht auf einem davon befinden konnte oder zumindest nicht weit fort davon.
    Jeden Tag las sie sowohl die chinesischen als auch die englischen Zeitungen von vorn bis hinten und war dankbar für den Englischunterricht, den sie so fleißig besucht hatte. Solange sie die Fotografie und die wenigen anderen Andenken an ihre Eltern besaß, die ganz unten im Tanka-Tragetuch sicher aufbewahrt wurden, bestand noch Hoffnung. Einstweilen reichten ihr der kleine Balkon und die Ausblicke vom Dach als Kontakt zur Außenwelt, und Rubin war die einzige Gefährtin, die sie brauchte.
    Sobald er erkannt hatte, dass die eurasische Schönheit eine Goldmine war, machte Drei-Daumen-Poon keine weiteren Anstalten,
mehr über die Vergangenheit von Nummer Zwölf in Erfahrung zu bringen. Seine Philosophie bestand schlicht und einfach darin, dass er ein Mädchen gut bezahlte und behandelte, wenn es ihm Geld einbrachte. War das nicht mehr der Fall, setzte er sie schnurstracks wieder auf die Straße.
    Selbst wenn er über den Fremden, der Nummer Zwölf zufolge ihr Vater war, Erkundigungen hätte einziehen wollen, würde doch nur ein Narr die Aufmerksamkeit auf ein Etablissment wie seines lenken. Prostitution und Glücksspiel waren nach Kolonialgesetz verboten - was weder in den Massagesalons, Kasinos und Lasterhöhlen etwas bedeutete, die unter den grellen Lichtern von Wan-Chai gediehen, noch für die Königliche Hongkong-Polizei, die ihr mageres Einkommen dadurch aufbesserte, dass sie am Ende eines jeden Monats Glücksgeld annahm und sich nicht um die lächerlichen Gesetze eines fernen Königs kümmerte. Deren britische Offiziere wagten sich nur selten in das Gebiet, außer zur günstigen Zeit des chinesischen Neujahrs, wenn sie in den Etablissements ihrer Wahl

Weitere Kostenlose Bücher