Die Tochter der Konkubine
kunstvoll »Dr. Shanghai-Smith« eingraviert war. Er vergewisserte sich, dass die Damen saßen, ehe er ihnen gegenüber Platz nahm. »Das volle englische Frühstück kann ich empfehlen«, sagte er und faltete seine Serviette auseinander. »Es gibt nur wenige Etablissements auf der Kowloon-Seite, die ein besseres servieren als unsere Lily. Aber«, er wandte sich an Sing und Rubin, »Lily serviert auch ein ausgezeichnetes Reis-Congee, wenn Ihnen das lieber wäre.«
Er tauschte mit Toby Visitenkarten aus. »So, und was kann ich denn nun für Sie und diese bezaubernden jungen Damen tun, Captain?«
Das Gesicht des Arztes hellte sich auf, als Toby ihm ihr Anliegen erklärte. »Ich hatte das Privileg, Ben Devereaux sehr gut zu kennen!« Er hielt inne, als Lily mit einem Tablett mit Teegeschirr auf sie zukam.
» Gnow-lie-cha - Kuhmilch-Tee für Sie und ching-cha , grünen Tee, für die Damen«, sagte sie. »Eine Bombay-Auster für unseren guten Doktor.« Sie stellte ein hohes Glas, eine Flasche eiskaltes Bier und zwei Eier vor ihn hin und eilte in die Küche zurück.
Smith goss das Bier mit der Präzision eines Apothekers, der einen gefährlichen Trank zubereitet, in das geneigte Glas, brach die rohen Eier über dessen Schaumkrone und trank das Gebräu dann genussvoll. »Damit kuriere ich meinen Kater. Ohne das kann ich den Tag nicht beginnen.« Er gab Lily ein Zeichen, dass er seinen ersten Gin Tonic des Tages brauchte, dann wandte er sich wieder mit ernster Miene ihnen zu. »Nun, was genau möchten Sie über Ben Devereaux denn wissen?« Er sah die Fotografie an und hörte sich Sings Bericht genau an. Dann streckte er den Arm aus und legte seine Hand auf ihre.
»Wir könnten stundenlang über Ihren Vater reden, und ich wäre entzückt, das irgendwann einmal auch zu tun. Aber Sie fragen sich ja, wo Sie ihn jetzt finden können. Leider ist es Jahre her, seitdem wir das letzte Mal an der langen Bar des Shanghai Clubs gemeinsam
etwas getrunken oder auf der Happy-Valley-Rennbahn eine Wette platziert haben.«
Er leerte sein Glas, das sofort durch ein neues ersetzt wurde. »Sie sollten nach Indie da Silva suchen, Bens Partner in der Double-Dragon-Handelsgesellschaft. Sie waren wie Vater und Sohn.« Er spielte mit dem Rührstäbchen, dessen Griff aus einem Glasschmetterling bestand. »Als Ben als Junge in Shanghai ankam und ich noch ein unternehmungslustiger Student am American College of Tropical Medicine war, nahm Indie Ihren Vater an Bord seines Handelsschiffs. Ich wurde Chirurg, während sie ein paar Jahre lang gemeinsam die chinesischen Flüsse befuhren, bevor Ben beschloss, sein eigenes Schiff zu befehligen … Mehrere Jahre darauf wurden sie dann Partner der Double-Dragon-Werft.«
Smith nahm einen tiefen Schluck. Beim Absetzen seines Glases klirrten die Eiswürfel. Er sah fragend zu Toby, ob er fortfahren solle.
»Es heißt, er habe eine Statue von Kuan-Yun, der Göttin der Gnade, zerstört, als er Ihre Mutter fand …« Der amerikanische Arzt zögerte. »Angeblich hat er auf jede nur erdenkliche Weise nach Ihnen gesucht, sowohl über die Schaltzentralen der Kolonialmacht wie auch über die der Triaden. Gebracht hat beides nichts.« Wieder legte Shanghai Smith seine Hand auf Sings. »Sicher ist nur, dass er Hongkong und denjenigen, die sich vor seiner schrecklichen Trauer verschlossen, den Rücken kehrte. Er schwor, nie wieder zurückzukehren, und das tat er auch nie.« Er drehte sein Glas, fuhr den Kondensationstropfen auf dem Glas nach. »Aber Indie kann Ihnen von diesen Dingen mehr erzählen als ich.«
Sing beugte den Kopf vor ihm. »Ich bin Ihnen für Ihre Hilfe sehr dankbar. Und wo kann ich diesen Mann finden?«
»Das Letzte, was ich von Indie da Silva hörte, war, dass er bei Tankas in der Silvermine Bay auf Lantau Island lebt. Er hat jeden Cent in seiner Tasche verspielt und bekommt beiderseits des Hafens in keiner Bar mehr Kredit.«
»Mit der Barkasse ist Lantau in ungefähr einer Stunde erreichbar«,
meinte Toby. »Das Sampandorf in der Silvermine Bay kenne ich. Wenn er dort ist, dann finden wir ihn.«
Er blickte zu Sing, die seine Sorge um sie so sicher fühlte wie seine Berührung, dann wandte er sich an Shanghai Smith. »Wie können wir Ihnen das vergelten, Sir?«
Der Arzt hielt sein leeres Glas hoch. »Das haben Sie mit solch einer entzückenden Gesellschaft doch schon getan, mein Lieber. Noch mal so was hier, und wir sind quitt.« Als sie sich zum Aufbruch anschickten, erhob er sich. »Wenn Sie
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