Die Tochter der Konkubine
reichten.
»Willkommen in der Hankow Road und dem Happy Butterfly … dem Zentrum des Universums«, sagte er.
Firecracker Lily war wirklich beeindruckend. Gebaut wie ein Ringer und nur knapp über 1,50 m groß in absurd hohen Stöckelschuhen, trug sie eine mehrlagige Ringellöckchenperücke, die einem
riesigen Bienenstock glich. Sie begrüßte Toby wie eine liebende Mutter. »Wo hast du so lange gesteckt? Warum bist du deine Lily nicht besuchen gekommen?«
Als sie Sing und Rubin sah, schubste sie Toby in gespielter Entrüstung fort. »Warum bringst du Mädchen von der Hongkong-Seite mit? Hier warten doch haufenweise Mädchen auf dich!« Sofort riefen ihm ein Dutzend junger Frauen lächelnd Grüße von den schattigen Sitzgruppen der Bar zu, wo sie lasen, strickten, nähten oder einander in Vorbereitung des Abendgeschäfts die Haare frisierten.
Toby machte dieser ausgelassene Empfang entsprechend verlegen, aber er umarmte Lily mit ebensolcher Begeisterung. Sing lächelte still in sich hinein, denn sie sah genug von dieser kleinen Bar, um mehr über Captain Toby Hyde-Wilkins zu erfahren, als er je zu erklären versuchen konnte. Ein paar Minuten darauf führte Lily sie nach oben in ihre Privatwohnung, von der aus man das Tollhaus der Hankow Road überblickte. Sie ließ sie auf ihren besten Sesseln Platz nehmen, holte die unvermeidliche Kanne Tee und ließ sich dann von Toby den Anlass ihres Besuches erklären. Nachdem sie sich die Fotografie von Ben Devereaux und seiner Frau angesehen hatte, nickte sie.
»Ja, an Di-Fo-Lo erinnere ich mich. In jungen Jahren sind er und sein Partner Indie häufig in mein Restaurant in Macao gekommen. Allerdings habe ich die beiden schon lange nicht mehr gesehen.«
Sie dachte nach und sagte plötzlich: »Ich weiß, wer Ihnen vielleicht helfen könnte. Er war einst ein bekannter Arzt auf der Shanghaier Seite und ein Freund Ihres Vaters. Sie sind immer zusammen zur Rennbahn gegangen.« Sie senkte die Stimme. »Er hat mir mal erzählt, Di-Fo-Lo würde der Kuomintang Gewehre verkaufen, um yut-boon-jais zu bekämpfen … ein Riesengeschäft.«
Sing wusste, dass » yut-boon-jai « »der japanische Junge« bedeutete - die verhassten Soldaten der aufgehenden Sonne, Chinas älteste Feinde. Sing beugte sich vor und fragte Lily: »Wo können wir diesen Freund meines Vaters denn finden - wie heißt er genau?«
»Seinen richtigen Namen kennt niemand. Er ist ein Amerikaner,
doch die Mädchen nennen ihn Shanghai Smith. Er trinkt ein wenig zu viel, aber er ist ein guter Arzt und kümmert sich um seine Mädchen. Bei mir bekommt er immer ein Essen und einen Drink oder zwei umsonst.«
Sie lächelte glücklich. »Es war eine gute Idee, in den Happy Butterfly zu kommen. Es ist elf. Vermutlich nimmt er gerade zum Frühstück an der Bar Platz.«
Als Lily ihnen Shanghai Smith vorstellte, war Sings erster Gedanke, dass er als junger Mann wirklich gut ausgesehen haben musste. Sein kantiges Kinn war sauber rasiert, sein ergrauendes Haar sorgfältig gestutzt und gekämmt, seine langgliedrigen Hände waren ordentlich manikürt. Er trug einen weiten Anzug aus zerknittertem weißen Leinen, ein cremefarbenes Hemd, das durch eine bunte, handbemalte Krawatte einen Farbtupfer erhielt, und seine zweifarbigen Schuhe waren auf Hochglanz poliert. Er erhob sich höflich und küsste Rubins und Sings Hand mit dem Auftreten eines Mannes, der viele attraktive Frauen gekannt und nie den Respekt vor ihnen verloren hatte.
Diese galante Geste wurde von einer kräftigen Duftmischung begleitet, die sich von den Bargerüchen aus schalem Bier, Tabakrauch und brennenden Räucherstäbchen deutlich abhob. Als Sing ihn darauf ansprach, verneigte sich der Arzt leicht und erklärte mit breitem amerikanischem Akzent: »Florida Water für die Haut … Californian Poppy fürs Haar und reichlich Lifebuoy-Seife.« Energisch rieb er sich die Hände. »Ich hoffe doch, Sie finden es nicht zu penetrant. Man ist oft versucht, in Angelegenheiten der Hygiene ein wenig ungeschickt vorzugehen, wenn man nur in der Hankow Road praktiziert.«
Sing erwiderte seine freundliche Art mit einem Lächeln. Ich mag ihn, dachte sie. Er riecht nett, hat ein gutes Benehmen und gibt mir das Gefühl, wichtig zu sein. Ich glaube, er hilft uns, wenn er kann.
»Es ist mir eine Ehre, Sie kennenzulernen, Sir. Vielen Dank, dass Sie uns Ihre wertvolle Zeit schenken.«
Er lud sie ein, sich mit an seinen Tisch zu setzen, bei dem ein Messingschild angebracht war, auf dem
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