Die Tochter der Konkubine
Tages die herrschaftlichen Glieder des großen Ming-Chou liebkosen zu können.
Ah-Su, die die Aufgabe des Compradors in einem eigenen Büro wahrnahm, einer Hütte am Ende des Ladedocks, genoss große Achtung. Sie führte Warenlisten über die Frachten, die die Laderäume der Sampans, Dschunken und anderer Boote auf dem Fluss füllten.
Nachdem sie erkannt hatte, dass das Lagerhaus kein Ort für ein Kind war, überzeugte sie Yik-Munn, dass es besser wäre, Li-Xia würde ihr helfen - würde Tee holen und ihr Büro putzen -, als dass sie unter den rohen Jungen, die im Lagerhaus schufteten, ihre Gesundheit und ihre wertvollen Finger aufs Spiel setzte. Er stimmte zu, allerdings nur unter der Bedingung, dass das Mädchen ihm keine zusätzliche Schande bereitete, indem es sich über seinen bescheidenen Stand zu erheben suchte, und verbat es sich, dass man ihr den unheilvollen Umgang mit Buchstaben und Zahlen beibrachte.
Nummer Drei ließ das Kind anständig baden und kleiden und gab ihr anstelle der Matratze auf den Reislagerdielen ein Bett sowie eine Truhe zur Aufbewahrung ihrer Sachen und einen Eimer fürs Wasserholen. Sie hängte sogar eine hübsche Gardine ans Fenster und stellte eine Vase mit Wildblumen auf das Fensterbrett. Am bedeutsamsten aber war ein alter Schreibtisch mit einem reparierten Stuhl, Streichhölzern und einer Schachtel Kerzen.
In einer Ecke des kleinen, aufgeräumten Büros bekam sie einen eigenen Sitzplatz.
»Du darfst hier sitzen, wenn du still bist und mir keinen Ärger machst. Sieh zu, dass stets frischer Tee in der Kanne und der Wasserkrug immer gefüllt ist. Du wirst den Reis holen, und wenn ich möchte, dass du einen Botengang erledigst, gebe ich dir Bescheid.«
Ohne zu lächeln, erklärte Ah-Su mit Nachdruck: »Wenn du
dein Wissen erweitern möchtest, dann darfst du zuschauen und zuhören. Lerne, was es heißt, Comprador zu sein. In diesem Büro bin ich nicht mehr Ah-Su, die Tante Nummer Drei - ich bin deine Lehrerin. Aber das muss unser Geheimnis bleiben.« Mit lächelnden Augen blickte sie auf Li-Xia nieder. »Lesen kann ich dir nicht beibringen. Das würde zu vielen Problemen führen und ließe sich schwer verheimlichen. Aber es ist so sicher wie der Sonnenaufgang, dass du eines Tages eine Gelehrte zu werden vermagst wie deine Mutter.«
Li-Xia verbrachte fast ein halbes Jahr in der Ecke des Büros, glücklich, ihre Aufträge zu erledigen, fasziniert von dem Abgleichen von Zahlen und dem Transfer von Gewürzfrachten vom Kai zu den offenen Luken und in die Laderäume der Flussdschunken. Die Entdeckung, dass sie sich Dinge merken und Antworten auf Fragen finden konnte, die sie sich selbst gestellt hatte, war eine Freude. Ah-Su war glücklich über ihre Gesellschaft, unterhielt sich oft mit ihr und beantwortete ihre Fragen sorgfältig und geduldig, zeigte Anerkennung darüber, dass ihre kleine Assistentin so ein kluges Köpfchen war.
Eines Morgens schenkte sie Li-Xia zu deren Freude einen defekten Abakus: »Nimm den hier, und wenn du ihn mit der richtigen Anzahl von Kugeln richten kannst, kannst du versuchen, ihn zu benutzen, aber sieh zu, dass es niemand mitbekommt!«
Ah-Su war erstaunt über die Geschwindigkeit und Genauigkeit, mit der Li-Xia mit ein wenig Unterstützung lernte, den Abakus zu verwenden. »Du hast die Finger und das Hirn deiner Mutter!«
Als Yik-Munn einmal unerwartet erschien und Li-Xia mit dem Abakus erwischte, entriss er ihn ihr und zertrat ihn. Dass dieses aufmüpfige Wesen gegen seinen Willen Zeit damit verschwendete, auf einem Stuhl zu sitzen und mit einem Rahmen aus Kugeln zu spielen, machte ihn rasend vor Wut. Liebend gern hätte er sie totgeprügelt und neben ihrer Erzeugerin beerdigt, aber er traute sich nicht. Stattdessen schickte er sie mit der Anweisung, sie müsse sich zumindest ihren Reis verdienen, zu den Frauen Nummer Eins und Zwei.
Li-Xias Tage begannen nun noch vor dem Morgengrauen damit, dass sie die Hühner fütterte und die Ziegen melkte. Die Vormittage verbrachte sie damit, Holz zu sammeln und den Hof zu kehren, die Nachmittage, Reis zu pflanzen, bis es an der Zeit war, die Enten und Gänse hereinzuholen. Sie war kräftig geworden, und keine Arbeit war ihr zu viel, doch ihre Brüder behandelten sie ebenso vorsichtig wie die Gutshunde. Die Frauen vergewisserten sich, dass sie Yik-Munns Gebot, sie solle stets Handschuhe tragen, befolgte, hielten ansonsten aber Abstand, als könnten sie nach einem Blick in ihre seltsamen runden Augen tot umfallen
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