Die Tochter der Konkubine
mütterlichen Namens, geschrieben, als sie ein Kind war, und umgeben von blassen, handgemalten Blumen. Die letzte Seite war so schön, dass es ihr den Atem raubte. Sie zeigte die Mondfrau, wie sie auf einem Sternenteppich tanzte. Nur zu gern hätte Li-Xia gewusst, was darauf geschrieben stand. Als Ah-Su schließlich eine Möglichkeit fand, sie heimlich zu besuchen, und ihr in ein Spinatblatt eingerollten Klebreis, Knödel und gebratene Nudeln brachte, bat Li-Xia sie, ihr die Worte zu Füßen der Mondfrau vorzulesen. Ah-Su las langsam und deutlich:
Beschütze die Geheimnisse deines Herzens wie viele andere möglicherweise die Juwelen und Reichtümer eines Königreiches beschützen, teile sie nur mit denen, die dein Vertrauen genießen. Wolle nie zu hoch hinaus, aber lass auch niemanden deinen Träumen und Hoffnungen Grenzen setzen. Verliere nie den Respekt vor den Gefühlen anderer, die älter sind als du, denke an Höflichkeit und gutes Benehmen, wenn du Anerkennung erhältst oder zollst … aber verschwende solch einen Reichtum nicht an Unwürdige, noch schenke jemand Freudlosem den Schatz deines Lächelns. Du wirst diese Worte in meine Hand
geschrieben finden, und jene, die du jetzt noch nicht so ganz verstehst, werden dir klar werden, wenn du sie lesen und selber schreiben kannst. Suche dein Glück und finde wahres Gold, wo du kannst. Solch ein Glück ist qian-jin.
Von Großonkel Ming, dem Seidenhändler, und den Veränderungen, die in ihrem Leben anstanden, hatte man Li-Xia wenig erzählt. Sie war überrascht und aufgeregt, als ihr Vater persönlich an der Tür des Reisschuppens erschien. Es sei ihr achter Geburtstag, sagte er, und an diesem Tag würde sie nicht arbeiten. Er brachte ihr einen reifen Pfirsich und eine neue sam-foo - eine Hose und ein aprikosenfarbiges Oberteil, dessen Manschetten und Kragen mit fliegenden Vögeln bestickt waren. An diesem besonderen Tag war ihr Haferbrei gesüßt, und zum Trinken gab es frische Ziegenmilch und dazu ein mit roter Bohnenpaste gefülltes süßes Brötchen. Noch nie hatte Li-Xia so schöne Kleidungsstücke gesehen oder so etwas Köstliches gegessen. Der Schmetterling der Hoffnung setzte sich auf ihre Schulter.
Sie solle essen und sich dann waschen, erklärte ihr der Vater. Nummer Drei werde ihr das Haar richten und sie für eine Flussreise und einen wichtigen Besuch fertigmachen. Wenn sie so weit sei, werde er zurückkommen und sie auf eine Sampanfahrt mitnehmen, um sich die Weidenbäume und die Frösche zwischen den Lotusblumen anzusehen. Der Eimer wurde speziell zu ihrer Benutzung geholt. Das heiße Wasser, das aus dem dampfenden Eimer in einen Waschzuber geschüttet wurde, war das erste Bad, das sie je nahm. Als sie sich mit der nach Blumen duftenden Seife wusch und sich dann die frisch riechenden Kleidungsstücke anzog, sann sie darüber nach, wie sehr sich ihr Schicksal nun doch zum Guten wendete.
Bei Yik-Munns Rückkehr sah er sich sein Kind interessiert an und war erleichtert über seine zurückhaltende Art. Konnte es sein, dass die Priester recht hatten und die Fuchsfee sie ganz verlassen hatte? Sie schien vor Gesundheit zu strotzen und von recht einnehmendem Wesen zu sein. Er überlegte, ob er nicht einen höheren
Preis als den ausgemachten herausschlagen konnte. Versprach sie nicht, selbst ohne die Lotusschuhe, eine Schönheit zu werden wie ihre Mutter?
»Lass mich deine Kolibrihände ansehen«, verlangte er mit einem Zucken seines breiten dünnlippigen Mundes, wobei seine berühmten Zähne sichtbar wurden, und sie gehorchte rasch und legte die Hände in seine ausgestreckten Handflächen. Er untersuchte sie gründlich, inspizierte jeden Finger mit seinem perfekt lackierten Nagel. Er beugte sich hinunter und hob sie an seine breiten, flachen Nasenlöcher und schnupperte nacheinander an jedem, wie er das bei einer frisch geschnittenen Blume oder den delikaten Düften eines seltenen und wertvollen Gewürzes tun würde, und hielt sie sich dann an seine raue Wange mit den spärlichen Koteletten.
Es war das erste Mal, dass er Li-Xia berührte, und es verwirrte sie, machte ihr aber auch Mut. Nachdem er sie so freundlich betrachtete, traute sie sich, ihn mit kräftiger und furchtloser Stimme anzusprechen.
»Wird mein ehrenwerter Großonkel, der flussaufwärts wohnt, mir das Lesen beibringen?«, erkundigte sie sich.
Er runzelte die Stirn und ließ sofort die Hände fallen. Mit einem wütenden Schnauben wandte er sich von ihr ab und entdeckte, dass unter ihrem
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