Die Tochter der Konkubine
herantrieb.
Er rief seine Befehle in perfektem Kantonesisch, und sie erschauerte, aus dem Mund dieses Wesens den Jargon der Menschen am Flussufer zu hören. Manches, was sie gehört hatte, stimmte, anderes nicht, dachte sie, unwillkürlich neugierig geworden. Ihn sah man schon lieber an als die schwarzhaarigen Portugiesen. Durch die Lücken zwischen den Weidenästen konnte sie die Augen des gwai-lo nicht richtig sehen, doch sie schienen mit Höllenfeuern zu leuchten. Seine kräftigen Zähne waren nicht gelb wie die eines Hundes und sahen auch nicht aus, als würden sie sich in rohes, blutiges Fleisch graben wollen, an dem die westlichen Barbaren sich angeblich so gern gütlich taten. Sein dichtes Haar von der Farbe eines frisch geschrubbten Kupfertopfs war zurückgebunden und legte ein Gesicht frei, das - aus der Ferne - nichts Bedrohliches oder Brutales an sich hatte. Seine Hautfarbe war heller, als sie es sich vorgestellt hatte.
Er hielt weder eine Peitsche noch einen Knüppel in der Hand, noch trug er eine andere Waffe bei sich, abgesehen von einem mit einem Silbergriff versehenen Messer, das in einer Scheide an seiner Hüfte steckte. Sein lose fallendes Hemd war am Hals aufgeknöpft und wurde an der Taille durch einen Gürtel mit Silberverzierungen zusammengefasst. Enge, cremefarbene Kniebundhosen waren in geputzte braune Stiefel gesteckt. Eindrücke eines flüchtigen Augenblicks, doch empfand sie sie wie eine schmerzhafte Ohrfeige, die sie weckte für eine Welt jenseits ihrer Vorstellungen.
Li war mit dem Baden noch nicht fertig und hatte sich allein geglaubt. Unvermittelt ihrer Nacktheit bewusst, das lange, dichte Haar noch immer ungekämmt nach hinten geworfen, machte sie Anstalten, sich zu verstecken. In diesem Augenblick entdeckte sie der gwai-lo , dem nichts entging. Sie spürte seinen Blick, so warm und stark wie Hände auf ihrem Körper, dennoch konnte sie ihn
nicht klar sehen - sie erhaschte nur ab und zu einen Blick durch Flechtwerk aus Laub. Der Abstand zwischen der Schiffseite und den Fendern verringerte sich rasch.
Sie sah, dass in das hoch aufragende Heck des Schiffes dieselben vergoldeten Zwillingsdrachen geschnitzt waren wie die, die stolz auf seiner Flagge flogen. Zwischen ihren ausgestreckten Klauen hielten sie ein Wappen, auf dem in chinesischen Schriftzeichen »Goldener Himmel« zu lesen stand und darunter »MACAO«.
Die Entdeckung, dass sie den Namen dieses großen Schiffes lesen konnte, beglückte sie. Doch das plötzliche Auftauchen dieses fremden Teufels, eines niederträchtigen Barbaren, die zu fürchten und zu hassen man sie gelehrt hatte, warf viele Fragen auf. Er musste von weither aus dem Land der ausländischen Barbaren hergereist sein, vielleicht herabgestiegen vom strahlenden Morgenhimmel.
Goo-Mah und Yik-Munns Frauen hatten viele Legenden über diese Teufel erzählt:
»Sie sind die faulsten aller Kreaturen, mehr Tier als Mensch.«
»Du kannst sie riechen, bevor du sie siehst. Dann musst du rennen und dich verstecken, sonst entführen sie dich auf ihr Teufelsschiff und werfen deine Knochen den Fischen zum Fraß vor!«
»Sie sind Geister und nicht von unserer Welt. Diejenigen, die sie Freunde nennen, werden die Götter verfluchen. Sie wurden hergesandt, um Geschäfte zu machen, und zu etwas anderem taugen sie auch nicht … Kein Geld - kein Gespräch.«
»Bald werden sie für immer aus China vertrieben sein, das hat die Kaiserin angeordnet. Wir werden sie mit der rechtschaffenen Faust der Boxermilizen besiegen.«
Sie fragte sich, inwiefern diese Warnungen auf den Barbaren zutrafen, der wie durch einen Zauber mit der strahlenden Sonne erschienen war.
Eine Stunde später konnte Li das prächtige Schiff, dessen Rumpf länger war als zwei Flussdschunken, von ihrem Platz im Spinnschuppen aus vertäut am Kai liegen sehen. Es ließ die Sampans daneben klein erscheinen, deren Besatzung mit der Mannschaft
um den Preis von frischem Fisch, Früchten und Gemüse feilschte. Sie beobachtete, wie der Barbar die Landungsbrücke entlangmarschierte, und konnte nicht umhin, die Kraft und Würde seines Schritts zu bewundern.
An seiner dunkelblauen Jacke schimmerte goldene Borte, auch ihre Manschetten, ihr Kragen und der Schirm seiner Mütze waren golden verziert. Sein Haar hing wie der Schwanz eines Wildpferdes schulterlang herab und lockte sich dicht auf Wangen und Kinn.
Von uniformierten Trägern in seiner prächtigen Sänfte herbeigetragen und umgeben von seiner Leibgarde, war
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