Die Tochter der Konkubine
Ming-Chou persönlich zu dem gwai-lo -Kapitän und seinem Geisterschiff hinuntergekommen. Unter der Überdachung war nur sein Gewand aus orangefarbener Seide zu sehen, denn die Sonne schien schon zu stark, als dass sie einem vornehmen Menschen wie ihm noch zuzumuten war.
Unvermittelt verspürte Li einen stechenden Schmerz auf der Schulter.
»Unterbrichst du etwa deine Arbeit, um diesen ausländischen Rüpel anzustarren?«, zischte Ah-Jeh. »Der ist doch eine Beleidigung für jedes Auge! Hast du nichts Wichtigeres zu tun? Spult sich der goldene Faden etwa von alleine ab?« Vor Schmerz und Schuldgefühl fuhr Li zusammen. Bis zu diesem Augenblick hatte noch nie etwas sie von der Arbeit ablenken können. Ältere Schwester zerhieb die Luft mit ihrer Rute. Li kam es vor, als hätte man ihr heiße Kohlen auf den Rücken gelegt. »Glaubst du, eine Schwester der sau-hai würde diesen schwerfälligen Rohling anglotzen wie ein Fisch? Dreht sich dir bei seinem Anblick nicht der Magen um?«
Beschämt darüber, dass sie sich so leicht hatte ablenken lassen, nickte Li hastig. Dennoch fragte sie sich, wie solch eine Herrlichkeit anstößig sein, etwas so Atemberaubendes so gering geschätzt werden konnte.
Ah-Jeh schimpfte weiter. »Er soll der Verrückteste von allen gwai-los sein , einer, der schon als Junge mit bloßen Händen sein erstes Schiff gebaut hat. Er wird Di-Fo-Lo genannt, weil sein Name für uns
nicht auszusprechen ist. Wie alle verrückten fremden Teufel soll er angeblich chinesische Kinder verspeist haben … er ist Di-Fo-Lo, der Kinderfresser. Der verrückte Barbar aus dem Schlickwatt Macaos.« Ah-Jeh schäumte vor Verachtung. »Man sagt, unter seinesgleichen sei er eine Legende, weil er gegen die schwarze Gesellschaft angegangen ist und überlebt hat. Es heißt, er setze alles aufs Spiel wie ein Kriegsherr und sei der reichste ausländische Taipan in Macao und Hongkong und bald auch in Shanghai. Dass seine Schiffe die doppelte Fracht jeder Dschunke aufnähmen und dreimal so schnell wären. Dass er an Bord Waffen mitführe, so dass sich keine Piratendschunke auch nur eine Meile an sie heranwage. Aus diesem Grund heißt der große Meister Ming-Chou diesen Abschaum willkommen. Warum sonst sollte unsereiner auch nur einen Augenblick seiner stinkenden Gegenwart dulden? Es ist geschäftlich«, schnauzte sie. »Nur dafür ist ein gwai-lo gut - fürs Geschäftliche.«
Li bemühte sich, ähnlich grimmige Gefühle in sich zu wecken, vermochte es aber nicht. Sie senkte den Blick, verbeugte sich tief und wagte zu sagen: »Das Schiff ist es, das mein Interesse geweckt hat. So ein schönes Schiff ist mir nicht einmal in meinen Träumen begegnet. Woher kommt es, und wo will es hin?«
»Das geht dich nichts an«, erwiderte Ältere Schwester unverzüglich mit zornesroten Wangen. »Denk daran, wo dein Platz ist, sonst beziehst du für deine Unverschämtheit Prügel!« Sie verstummte, atmete kurz und gehetzt in ihrem Hass. »Es kommt aus diesem Drecksloch Macao«, grummelte sie schließlich, unfähig, sich abzuwenden. »Dem Teil Chinas, den die Kaiserin für hundert Jahre an die Portugiesen verpachtet hat. Sie hat ihnen erlaubt, Handel zu treiben, wenn sie dafür den Piratenkönig Koxinga niederschlagen. Dieses ›schöne‹ Schiff, für das du dich so interessierst, wurde mit Geld gebaut, das armen Chinesen fortgenommen wurde, und sie plagten sich auch mit dem Bau ab … während Koxinga auf seinen Kriegsdschunken herumsegelt und vergewaltigt und plündert, wo er nur will.«
Endlich wandte Ah-Jeh sich ab. »Diese fremden Teufel, das sind
allesamt Diebe und Betrüger. Die Barbaren stinken so übel wie Ziegen, und bei ihnen wächst das Haar auch fast so dicht. Ihre Frauen schminken sich die Gesichter wie das hässliche Hinterteil eines Pavians. Und ihre Angewohnheiten! Viele waschen sich nicht, dabei schwitzen sie wie ein galoppierendes Pferd!« Die Vorsteherin wedelte mit der Hand vor ihrer Nase und schüttelte den Kopf, um das Bild loszuwerden, das sie heraufbeschwor. »Anstatt dass sie ihren Rotz ausspucken wie jeder zivilisierte Mensch, blasen sie ihn in ein Stück Stoff und bewahren ihn eingepackt in ihrer Hosentasche auf! Kannst du dir das vorstellen? Aber ich habe es schon mit meinen eigenen Augen gesehen.«
Li erschrak über Ah-Jehs angeekelte Miene. Noch nie hatte sie Ältere Schwester aus solcher Nähe betrachtet und konnte das Mandelöl in ihrem Haar und die Gewürznelken riechen, die sie für einen frischen Atem
Weitere Kostenlose Bücher