Die Tochter der Konkubine
wertvollen Münze auf ihrer Haut nachzeichnete. Da hätte sie gern zu ihm aufgeschaut, konnte sich jedoch nicht rühren. »Woher kennen Sie den Großen Weisen Sau-Sing-Kung?«, war alles, was sie herausbrachte.
»Ich weiß viele Dinge über dein großartiges Land, die weiser sind als alle anderen, und diese haben mich viel gelehrt.« Eine Sekunde zögerte er. »Aber ich weiß auch von Dingen, die überhaupt nicht weise sind … und die kann ich nicht akzeptieren. Genauso wenig wie die meines eigenen Volkes.«
In diesem kurzen Augenblick der Ehrlichkeit fühlte Li sich ihm näher, als sie zugeben konnte. »Ich habe nichts getan, um so ein unbezahlbares Geschenk zu verdienen«, sagte sie. »Der Kumquatbaum hat keinen Wert und wird bald verwelken und eingehen. Das hier ist mein erstes Stück Gold, wie es einst Ihr erstes war. Ich werde es nie hergeben.«
»Der Kumquatbaum bleibt vielleicht auch für immer schön, wenn man sich um ihn kümmert. Wenn seine Wurzeln kräftig sind und er so gut behandelt wird, wie man es tun sollte, wird er sogar noch kräftiger und schöner. Mit seinem Wachsen kommen neue Früchte, größer und reichlicher.«
Ben hob sanft ihr Kinn, so dass sie ihm direkt in die Augen sehen musste. »Lass uns nur einmal über Geben und Nehmen sprechen. Du hast mich nicht gebeten, in dein Leben zu treten. Man hat dir
keine Wahl gelassen, und ich weiß nicht mit Sicherheit, was mich dazu veranlasst hat, dich hierher zu bringen. Aber geschehen ist geschehen, und nun bin ich für deine Zukunft verantwortlich, worüber ich mich freue und wozu ich bereit bin. Ich biete dir, was immer nötig ist, um dir das Leben deiner eigenen Wahl zu ermöglichen. Die Wahl zu haben ist das größte aller Geschenke. Sie wurde dir brutal genommen, und doch hast du niemandem die Schuld gegeben und nicht um Hilfe geschrien. Du hast mit den Karten gespielt, die dir gegeben wurden, und das bewundere ich. Im Gegenzug bitte ich um nichts weiter als um dein Vertrauen.«
Die Berührung seiner Lippen auf ihrer Stirn schien ein Gelübde zu besiegeln, das Heben ihres Kinnes eine einfache Geste. Sie wirkte so unmittelbar auf Li, dass sie nach ihm ausgegriffen hätte, wenn er nicht zurückgetreten wäre.
»Du musst jetzt schlafen, aber davor bitte ich dich, dir zu überlegen, was du dir für deine Zukunft wünschst. Morgen werden wir hier auf dem Balkon gemeinsam frühstücken.« Er lächelte, legte ihr die Hand leicht auf den Arm und führte sie zur Tür. »Kannst du kochen?«
»Nur die allereinfachsten Gerichte für Menschen, die schwer auf dem Feld arbeiten.«
»Dann essen wir das allereinfachste Gericht, vielleicht erzählst du mir mehr über das Gelehrtendasein, und wir unterhalten uns über Vertrauen, Wahlmöglichkeiten und Gold.«
Li war sich nicht sicher, ob es Erleichterung oder Enttäuschung war, die sie zu ihrem Zimmer zurückbegleitete. Noch nie war das große Haus so leer und still gewesen, und doch folgte ihr Bens mächtige Gegenwart so sicher wie ihr eigener Herzschlag. Selbst der Klang seiner Stimme blieb bei ihr. Sie war froh, als sie die Tür zu ihrem eigenen kleinen Reich schließen und ihre Gedanken sammeln konnte, während sie sich die Goldmünze an ihrer glitzernden Kette ansah, als glänzender Beweis dafür, dass sie nicht träumte.
Der erste Tag des neuen Jahres brach hell durch die Fenster von Sky House. Die Dächer der Stadt lagen nach dem Chaos des Kleinen
Neujahrs still und verlassen da. Selbst die Tauben, die normalerweise die Kathedrale umkreisten, ruhten noch immer in deren Glockenturm. Verheißung lag in der Luft, während die Menschen, arm oder reich, hinter geschlossenen Türen ihre Hoffnungen teilten und ihre Zukunft planten. Es war zu früh, um Freunde zu besuchen und Glücksgeld auszutauschen.
Li hatte ein Frühstück aus Teigtaschen, Reis-Congee gewürzt mit gesalzenen Shrimps und gehacktem Schnittlauch, Drachenauge-Früchten und frisch im Garten geernteten Lychees zubereitet. Die Teigtaschen und der Reis befanden sich in Bambusdampfgarern, damit sie frisch und warm blieben. Sie hatte den englischen Kuhmilchtee gemacht, den Ben Fisch zufolge am liebsten trank, und die Teekanne in ihren wattierten Korb aus Raffiabast gestellt, daneben die South China Morning Post hingelegt. Sobald sie das Tablett abgestellt hatte, kam er vom englischen Garten herein.
Etwas an ihm war anders. Zunächst erschreckte es sie, es kam so unerwartet, dass sie ihn nur mit großen Augen ansehen konnte. Sein Bart war
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