Die Tochter der Konkubine
mit dem ersten verfügbaren Passagierschiff auf den Weg gemacht.
Von dem Mädchen, das sie unter ihre Fittiche nehmen sollte, hatte sie nur gehört, dass sie Li-Xia heiße, fünfzehn Jahre alt sei und nur über eine sehr rudimentäre Ausbildung verfüge. Das kümmerte Miss Bramble nicht. Nichts erfüllte sie mehr, als junge Damen zu formen und zu vervollkommnen, und dies innerhalb des äußerst begrenzten Zeitraums von zwölf Monaten zu versuchen war nur eine umso größere Herausforderung. Als sie drei Monate darauf in Sky House eintraf, entdeckte sie zu ihrer Überraschung jedoch, dass die fragliche junge Dame eine Waise ohne Erbe oder Aussichten war - mit den häufig verwöhnten Töchtern aus vermögenden Familien, denen sie gewöhnlich Privatunterricht gab, hatte sie rein gar nichts gemein.
Winifred hatte ihre Hongkonger Beziehungen spielen lassen, um Captain Devereauxs Referenzen zu überprüfen, welche sich als über jeden Tadel erhaben erwiesen hatten. Sie erdreistete sich nicht, über sein Interesse an dem schönen Mädchen zu spekulieren, das sich als ganz bezaubernd entpuppt hatte. Sollte sie Befürchtungen gehabt haben, so wurden diese bald durch die rasche Auffassungsgabe, die Ehrlichkeit und faszinierende Persönlichkeit des Mädchens zerstreut. Als ihr der Captain unter vier Augen erzählte, was ihm von Lis schrecklicher Vergangenheit bekannt war, wuchs der Wunsch in ihr, dem Kind dabei zu helfen, ihre außergewöhnlichen Ziele zu erreichen.
Li mochte die englische Lehrerin schon, kaum dass sie bei einem Tee im Arbeitszimmer miteinander bekannt gemacht worden waren. Miss Bramble war auf eine Art schick gekleidet, die Li noch nie gesehen hatte, und war so freundlich, ihr die Philosophie von Harris-Tweed, Seidenblusen, gestrickten Twin-Sets, grünen Pork-Pie-Hüten, Florgarnstrümpfen und derben Wanderschuhen zu erklären. Ihr gewelltes, silbernes Haar, das sie mit Hilfe von Schildpattspangen
hochgesteckt hatte, saß tadellos. An ihren Ohrläppchen zitterten große Granate und ergossen sich um ihren Hals wie kristallisierte Blutstropfen. Ähnliche Steine schmückten ihre Handgelenke und perfekt manikürten Finger. Einen großen Fächer aus mit Lavendel bedufteter Seide legte sie nur selten aus der Hand, ihr zufolge eine Notwendigkeit für eine Engländerin in den Tropen.
Ihr Gesicht sah dem hässlichen Hinterteil eines Pavians so gar nicht ähnlich, fand Li, die man in der Hinsicht vorgewarnt hatte. Sie war ungeschminkt, von gesunder Gesichtsfarbe und rotwangig. Ihre haselnussfarbenen Augen blickten sie gründlich, aber gütig hinter einer hoch polierten Brille in einem blasslila Gestell an. Ihre scharfe Beobachtungsgabe und scheinbar endlose Geduld machten sie zur perfekten Lehrerin.
Miss Bramble hatte vor, ihre Schülerin über alles zu unterrichten, was diese über die britische Lebensart zu wissen wünschte, ohne dabei auf irgendeine Weise den Reichtum ihres chinesischen Erbes und der chinesischen Kultur herabzusetzen. Eine sensible Verschmelzung der beiden, versicherte sie Ben, sollte eine junge Frau mit hervorragenden Eigenschaften aus ihr machen. »Die Eignungsprüfungen, denen ich sie unterzogen habe, zeigen, dass sie eine bemerkenswerte Auffassungsgabe besitzt.«
Als Klassenzimmer hatte Ben sein Arbeitszimmer zur Verfügung gestellt, er beschränkte sich nun auf sein Büro an der Praia. Auch stattete er Hongkong und Shanghai häufige Besuche ab und unternahm Seereisen, die bis zu fünf und sechs Wochen dauerten. Wenn er nach Sky House zurückkehrte, so meistens nur für kurze Zeit und das in Begleitung anderer, mit denen er bis spät in die Nacht aß und trank. Wenn er Li überhaupt grüßte, geschah dies nur kurz, obgleich er viel mehr Zeit damit verbrachte, sich mit Miss Bramble hinter verschlossenen Türen zu unterhalten.
Li gestand sich selbst nicht ein, dass sie Bens Anwesenheit vermisste, dass sein Anblick, Klang und Geruch so sehr zu Sky House gehörte, dass es ohne ihn seinen Glanz zu verlieren schien. Ihre Tage waren zu vollgepackt, als dass sie lange hätte darüber nachdenken
können, wo er wohl war und was er wohl tun mochte. Selbst ihre Abende verbrachte sie mit Lernen, oft bis spät in die Nacht hinein. Miss Bramble war entzückt über ihren Wissensdurst und ihre Charaktertiefe.
Fisch betrachtete das Erscheinen der ausländischen Lehrerin als Antwort der Götter auf ihre Gebete. Dass Li Ben vermisste, musste man ihr nicht sagen. Sie und das Mädchen standen einander
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