Die Tochter der Konkubine
beschwichtigen. »Es gibt Arten von Verrat und Treulosigkeit, die nicht einmal du dir vorstellen kannst.« Sie seufzte tief. »Ich habe jemanden sagen hören, Rache sei ein Festmahl, das man am besten kalt genieße. Insofern sind wir vorerst vielleicht sicher. Ah-Ho wagt es nicht, die Hand gegen dich zu erheben. Sie wird andere dafür bezahlen, dieses Risiko einzugehen. Es gibt so viele, die für ein Hühnerbein zu töten bereit sind und es dann auf dem Grab essen, andere, die den Eltern ihr Kind unter der Nase wegstehlen und es Stück für Stück wieder heimschicken, bis der Preis gezahlt wird. So läuft das in der Triade.«
Unvermittelt ergriff Fisch Lis Hand. »Man darf Ah-Geet nicht trauen. In anderen Haushalten haben bereits zwei mooi-jai ein Kind von ihm ausgetragen.« Sie umklammerte Lis Hand fester. »Er ist ein sai-lo , ein Jüngerer Bruder des Geheimbundes. Wir müssen uns vor ihm in Acht nehmen.«
Li hatte Fisch nichts von der stummen Hand an ihrer Tür erzählt und befand, dass es nicht sinnvoll wäre, dies nun nachzuholen.
11. KAPITEL
Der Englische Garten
Unter Miss Brambles liebenswürdiger Anleitung wurde Lis Leben zu einem Märchenland des Lernens. Die Tage begannen mit einem flotten Marsch in den Gartenanlagen und einem zeitigen Frühstück im Englischen Garten, gefolgt von Vormittagen, an denen Englisch gesprochen, gelesen und geschrieben wurde; einem Mittagessen, das von Fisch unter dem Spanischen Fliederbaum serviert wurde; weiteren Unterrichtsstunden; dann Nachmittagen und Abenden mit allgemeiner Unterhaltung, bei der Li ermutigt wurde, all die Fragen zu stellen, die sie wünschte. Manchmal lauschten sie in den Räumen der Lehrerin dem Grammophon mit westlicher Musik oder besprachen ein Buch und das Leben seines Autors. Für Li-Xia war jeder Augenblick ein Geschenk.
Miss Bramble hatte zwei Damenfahrräder erstanden, die mit großen Körben ausgestattet waren, um Sandwiches und Thermoskannen mit Tee transportieren zu können. Auf dem Lande reiste die englische Dame derart am liebsten, erklärte sie. Die Leibesertüchtigung durch das Fahrradfahren, die sich als perfekte Erholung von der intensiven Lernerei erwies, führte sie manchmal auf Touren in die Umgebung der Stadt oder zu Picknicks auf den luftigen Klippen der Landzunge. Selbst bei diesen willkommenen Exkursionen nahm Li ihre Büchertasche für rund eine Stunde stillen Lesens oder eine lebhafte Debatte über die Vielschichtigkeiten der englischen Sprache mit.
Sechs Monate nach Lis erstem Unterrichtstag freute Ben sich, Miss Bramble eines späten Abends in seinem Arbeitszimmer mit einem Halbjahresbericht begrüßen zu dürfen und von ihr nichts
als höchstes Lob für ihre vielversprechende junge Schülerin zu hören. Li hatte sogleich Gefallen an den Feinheiten des guten Benehmens gefunden und zeigte eine natürliche Anmut, die sich zu wahrer Eleganz zu entwickeln versprach. Doch so gewiss, wie sie ein Benehmen entwickelte, das in jedem englischen Salon akzeptabel gewesen wäre, begeisterte sie sich auch für die rauen Seiten des chinesischen Handels. Sie war, so schloss die Lehrerin ab, eine recht außergewöhnliche und entschlossene junge Frau.
Als Ben Miss Bramble seine Absichten anvertraut hatte, hatte sie ihm von Herzen, jedoch verhalten dazu gratuliert. Sie kannte ihren Arbeitgeber ausreichend, um zu wissen, dass Li in keine sichereren und stärkeren Hände als die von Captain Ben Devereaux gelangen konnte; und ihre junge Schülerin auch genügend, um zu wissen, dass sie gegen ihren Willen zu nichts gezwungen werden konnte. Miss Bramble bezweifelte nicht, dass Li für Ben eine äußerst passende Gefährtin abgäbe und für sein Unternehmen ein Gewinn sein würde. Dessenungeachtet bekümmerte sie die blinde Dummheit sowohl des Westens wie des Ostens bezüglich gemischter Ehen. Das brachte Schwierigkeiten und Gefahren mit sich. Obwohl Ben niemand war, der sich von Vorurteilen und Aberglauben beeindrucken ließ, fragte sie sich, wie er auf die heimtückische Bedrohung reagieren würde, der diejenigen, die er liebte, eines Tages ausgesetzt sein könnten. Ein Gedanke, den sie nur schwer verdrängen konnte.
Am Ende der zwölf Monate besaß Li genügend Englischkenntnisse, um mit Winifred Bramble und ihrem kleinen Kreis redegewandter Bekannter eine Unterhaltung führen zu können; mit Ben über jedes von ihm gewählte Thema verständlich zu sprechen; auf Englisch, Kantonesisch, Tanka oder in ihrer Geburtssprache Hakka einen passablen
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