Die Tochter Der Midgardschlange: Die Asgard-Saga
entfuhr es ihr.
Edith machte ein beleidigtes Gesicht. »Sehe ich aus, als würde ich scherzen?«
Natürlich nahmen sie nicht wirklich das Drachenschiff, sondern das kleine Ruderboot, das an seinem Heck vertäut war, aber Edith hatte sich noch eine ganze Weile vollkommen unverhohlen über ihre verdatterte Miene amüsiert, und sie hatte auch nicht darauf verzichtet, vor ihren Augen gemächlich durch den Fluss zu waten, in dem sie selbst vor wenigen Augenblicken beinahe ertrunken wäre. Und selbstverständlich geizte sie nicht mit spöttischen Bemerkungen, nachdem sie ihr den Umgang mit einem der beiden Ruder gezeigt hatte und sie losfuhren.
Irgendwann jedoch wird auch die schärfste Klinge stumpf, und nachdem sie jeden Vorwurf dreimal gemacht, jede ironische Bemerkung fünfmal wiederholt und jeden Tadel ein halbes Dutzend Mal ausgesprochen hatte, ließ sie es endlich gut sein und beschränkte sich darauf, Katharina aus spöttisch funkelnden Augen zu mustern. Katharina widersprach während der ganzen Zeit kein einziges Mal (wozu auch? Sie hätte sich nur lächerlich gemacht), aber sie verwandte einen Gutteil der Fahrt darauf, sich eine lange Liste ausgesuchter Beleidigungen zurechtzulegen, mit denen sie sich bei passender Gelegenheit revanchieren würde.
Darüber hinaus nutzte sie die Zeit, sich aufmerksam umzusehen und sich jede Kleinigkeit ihrer Umgebung einzuprägen – nur für alle Fälle. Der Sumpf bot auch bei Tage einen kaum weniger unheimlichen Anblick als nachts. Die Bäume waren knorrig und klein und wirkten wie verkrüppelte Riesen, die sich zum Trinken am Wasser versammelt hatten und dort mitten in der Bewegung erstarrt waren. Die Schatten zwischen ihnen kamen ihr tiefer vor, als sie sein sollten, und sämtliche Vegetation schien irgendwie … schmierig zu sein, als hätte sie schon vor langer Zeit zu faulen begonnen, ohne sich dabei jedoch selbst zu verzehren. Sogar das wenige Getier, das nicht schnell genug vor ihnen floh, um sich ihren Blicken zu entziehen, wirkte falsch und unheimlich.
»Das ist ein seltsamer Ort, nicht wahr?«, fragte Edith, der ihre Blicke nicht entgangen waren. »Kein Wunder, dass die Leute sich die unheimlichsten Geschichten darüber erzählen.«
Katharina tauchte das Ruder ins Wasser und zog es mit einer kraftvollen Bewegung durch, wie Edith es ihr gezeigt hatte, bevor sie antwortete. Ihr taten jetzt schon Schultern und Nacken weh, obwohl sie noch nicht lange unterwegs waren. »Vielleicht gibt es ja einen Grund dafür«, sagte sie kurzatmig. »Es sollte mich nicht wundern, wenn es hier Ungeheuer gibt.«
»Ungeheuer?« Edite wiederholte das Wort, als hätte sie etwas Komisches gesagt. Dann schüttelte sie den Kopf. »Ich bin eine alte Frau, mein Kind, und ich habe viel von der Welt gesehen. Die sonderbarsten Dinge, die du mir nicht einmal glauben würdest. Aber die einzigen Ungeheuer, denen ich begegnet bin, hatten zwei Beine und trugen zumeist Rüstungen und Waffen.«
»Jetzt klingst du beinahe wie Vera«, sagte Katharina.
»Das könnte daran liegen, dass sie so Unrecht nicht hat«, erwiderte Edith. Katharina beobachtete mit einem sachten Stich von Neid, wie sie das Ruder ohne die geringste sichtbare Mühe ins Wasser tauchte und durchzog. »Deine Freundin ist verbittert, und das vielleicht zu Recht. Wer weiß schon, was ihr in ihrem Leben angetan wurde?«
»Aber ein Mensch ist doch nicht schlecht, nur weil er als Adliger geboren wird!«
Edith lachte. »Habe ich dir schon gesagt, dass du deiner Mutter sehr ähnlich bist, Kind?«
»Mehrmals«, maulte Katharina.
»Sie war auch immer bestrebt, nur das Gute im Menschen zu sehen«, erwiderte Edith. »Sie war vielleicht ein bisschen naiv, das ist wahr … aber sie hat einen hohen Preis dafür bezahlt. Und ich glaube, sie hätte dasselbe gesagt wie du. Niemand ist böse, nur weil er als Mächtiger geboren wird. Aber Macht verleitet die Menschen, weißt du? Wenn man zu den Mächtigen gehört, dann ist die Verlockung groß, sich zu nehmen, was man will, ob es einem gehört oder nicht.«
»Nicht alle sind so«, beharrte Katharina.
Edith wollte widersprechen, seufzte aber dann nur leise und betrachtete sie auf eine neue, schwer einzuschätzende Art. »Wenn wir das hier überleben, mein Kind«, sagte sie nach einer Weile, »und du zu deiner Familie zurückkehrst, dann wirst du vielleicht eines Tages auch zu den Mächtigen gehören.«
»Und was willst du damit sagen?«, fragte Katharina misstrauisch.
»Dass du vielleicht die
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