Die Tochter Der Midgardschlange: Die Asgard-Saga
in den Wald zurück, um den Fluss noch gut überblicken zu können, wobei sie selbst aber so gut wie unsichtbar waren, und Edith bedeutete ihr mit einer müden Geste, sich zu setzen.
Katharina gehorchte nur zu gern, hatte sie doch ohnehin das Gefühl, sich kaum noch auf den Beinen halten zu können. Jeder einzelne Muskel oberhalb ihrer Hüften schmerzte unerträglich, und ihr ganzer Körper schien sich in Blei verwandelt zu haben. Sie war so müde, als hätte sie seit einer Woche nicht mehr geschlafen, und dass sie das letzte Mal etwas gegessen hatte, schien mindestens doppelt so lang her zu sein. Sie hatte ja nicht geahnt, wie anstrengend etwas so Simples wie Rudern sein konnte.
Trotzdem regte sich ihr schlechtes Gewissen, als sie in Ediths Gesicht sah und begriff, dass die alte Frau mindestens ebenso müde und erschöpft war wie sie selbst, dazu aber mindestens fünfmal so alt.
»Und was jetzt?«, murmelte sie erschöpft.
»Jetzt«, antwortete Edith, »gehe ich in den Wald und suche uns etwas zu essen. Hier gibt es bestimmt mehr als giftige Kröten und Moderpilze.«
»Ich bin nicht hungrig«, sagte Katharina.
»Lügnerin«, antwortete Edith. »Aber du musst auch nichts essen, wenn du nicht willst. Dann suche ich nur für mich etwas. Aber du könntest den Fluss im Auge behalten, bis ich zurück bin, nur für alle Fälle.«
Katharina kam nicht einmal dazu, sie zu fragen, von was für Fällen sie sprach, da war sie auch schon im Unterholz verschwunden, und das Nächste, woran Katharina sich erinnerte, war ihre Hand, die an ihrer Schulter rüttelte, und Ediths strafender Blick.
»So viel zu deinem Versprechen, die Augen offen zu halten.«
Katharina konnte sich nicht erinnern, ein solches Versprechen abgegeben zu haben, aber sie war einfach zu müde, um Edith darauf aufmerksam zu machen.
»Ich jedenfalls war erfolgreich.« Edith deutete auf das, was sie aus dem Wald mitgebracht hatte: zwei oder drei Handvoll Beeren, eine etwas kleinere Menge Pilze sowie etliche Wurzeln, die ein bisschen wie verknöcherte Würmer aussahen, von denen sie aber wusste, dass sie essbar waren. Zu Katharinas Überraschung hatte sie auch ein kleines Tier erlegt, obwohl sie nicht sagen konnte, was es einmal gewesen war, denn Edith hatte es bereits abgezogen. »Aber du bist ja nicht hungrig. Dann werde ich wohl versuchen müssen, alles allein aufzuessen … auch wenn es recht viel ist. Aber ich hasse es, gutes Essen zu verschwenden. Das ist wider die Natur.«
»Schon gut«, nuschelte Katharina verschlafen. Mühsam richtete sie sich auf, rieb sich die Müdigkeit aus den Augen und verzog das Gesicht, als schon diese kleine Bewegung einen stechenden Schmerz durch ihre Schultermuskeln jagte. Edith lächelte unverhohlen schadenfroh, nahm neben ihr Platz und aß ein paar Beeren.
»Schmeckt gar nicht einmal so schlecht«, sagte sie. »Auf jeden Fall besser als Stolz.«
Katharina versuchte vergeblich, ihr einen wütenden Blick zuzuwerfen, gähnte noch einmal und entschied den Kampf zwischen Stolz und ordinärem Hunger dann zugunsten ihres knurrenden Magens. Beeren und Pilze schmeckten köstlich (was sicher hauptsächlich an ihrem Hunger lag, den sie zwar zur Genüge kannte, der seinem Ruf als bester aller Köche aber auch jetzt wieder alle Ehre machte), an den Wurzeln knabberte sie nur einmal kurz, und das rohe Fleisch, das Edith ihr in Form eines knackend aus dem Gelenk gedrehten Beinchens anbot, lehnte sie mit einem hastigen Kopfschütteln ab.
»Aber es ist gut«, beharrte Edith. »Gutes Fleisch, ganz frisch.«
»Es ist roh«, sagte Katharina.
»Aber es gibt dir Kraft«, beharrte Edith. »Wenn dir das schon seltsam verkommt, dann solltest du manches von dem, was wir in unserer alten Heimat Tag für Tag gegessen haben, lieber gar nicht erst sehen.«
Katharina klaubte mit spitzen Fingern die letzten Beeren aus dem Gras und beschloss, vorsichtshalber das Thema zu wechseln. Es wäre doch schade, wenn sie das bisschen Essen, das sie gerade bekommen hatte, nicht einmal bei sich behalten würde.
»Es tut mir wirklich leid, dass ich eingeschlafen bin«, sagte sie.
»Ja, das sollte es auch«, antwortete Edith. »Es ist nicht schlimm, dass du zu müde warst, um deine Aufgabe zu erfüllen, weißt du? Schlimm ist nur, dass du es nicht gesagt hast. Falscher Stolz hat vielleicht schon mehr Menschen ins Grab gebracht als Schwerter und Pfeile.«
Das war dann wohl das zweite Thema innerhalb weniger Augenblicke, über das sie nicht reden
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