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Die Tochter Der Midgardschlange: Die Asgard-Saga

Titel: Die Tochter Der Midgardschlange: Die Asgard-Saga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Gegenteil, denn ganz plötzlich sah sie wieder den reglosen Körper des Mannes vor sich, der in ihrem Zelt ums Leben gekommen war, und in das monotone Klatschen der Ruder, das Schnaufen und Ächzen der Männer, das schwere Schlagen des Segels und die hundert anderen Laute des Schiffes mischte sich ein ferner Schrei, der gar nicht da war, sondern nur aus ihrer Erinnerung emporstieg; der gellende Schrei eines Mannes, der bei lebendigem Leib verbrannte und den sie angezündet hatte.
    Warum empfand sie nichts?
    Sie presste die beiden zitternden Katzenjungen noch fester an sich, und der Gedanke, dass sie sterben würden und es rein gar nichts gab, was sie dagegen tun konnte, war schier unerträglich. Die Erinnerung an den Mann, der durch ihre Schuld auf so grausame Weise ums Leben gekommen war, bedeutete ihr nichts.
    Das war nicht richtig. Aber sie konnte es auch nicht ändern.
    »Wohin … bringt ihr mich?«, fragte sie.
    Wieder ließ Erik eine Weile verstreichen, in der er sie nur stumm und nachdenklich ansah. »Nach Bjarnisund«, sagte er schließlich. »Es ist nicht weit. Wenn der Wind weiter so günstig steht, werden wir noch vor Sonnenaufgang dort sein.« Katharina sah ihn fragend an, und Erik fügte hinzu: »Unser Hauptlager. Es wird dir gefallen. Es gibt dort Kinder, weißt du? Ein paar sind in deinem Alter.«
    Es dauerte einen Moment, bis Katharina zu verstehen glaubte, was er ihr damit sagen wollte. »Dann … dann kann ich bei euch bleiben?«, fragte sie stockend.
    »Erst einmal«, antwortete Erik, und auch jetzt wieder nach einem langen Schweigen. »Später sehen wir weiter.«
    »Erst einmal?«
    »Erst einmal«, bestätigte Erik und lächelte sie beruhigend an. »Lass ein paar Tage ins Land gehen, und dann reden wir noch einmal in Ruhe.« Er hob ganz leicht die Stimme, als sie ihn unterbrechen wollte. »Das alles ist viel zu viel für dich, um es jetzt schon zu begreifen, mein Kind. Du hast Gewalt erlebt und musstest um dein Leben fürchten. Deine Heimat wurde zerstört, und alle deine Freunde sind tot.«
    »Es waren nicht meine Freunde«, sagte sie trotzig.
    Erik lächelte verzeihend, als hätte sie etwas sehr Dummes gesagt. »Aber es waren die einzigen Menschen, die du kanntest«, sagte er. »Sie waren deine Familie, ob es dir nun gefällt oder nicht. Sie waren die einzigen Menschen, die du hattest. Stell es dir nicht zu leicht vor, dein ganzes Leben hinter dir zu lassen und einfach zu uns zu kommen. Ich bin nicht sicher, ob dir das Leben bei uns gefällt.«
    Schlimmer als das, was sie bisher gelebt hatte, konnte es kaum sein, dachte sie bitter. Erik hatte Recht: Sie wusste rein gar nichts von ihm und seinem Volk, und schon gar nicht, wie das Leben dort sein mochte – aber konnte es schlimmer sein als die Jahre, an die sie sich erinnerte. Alle Jahre?
    »Ich weiß nicht, was Ansgar dir über unsere Heimat erzählt hat, Kind, aber unser Land ist hart, und manchmal verlangt es einen hohen Preis für das bisschen Leben, das es uns dafür gibt. Ich möchte nicht, dass du vielleicht eine vorschnelle Entscheidung triffst, die du später bereust.«
    Aber was sollte sie denn bereuen? Dass sie nicht mehr bei den Schweinen schlafen musste, nur schlechtes und viel zu wenig Essen bekam, dafür aber um so reichlichere Schläge?
    Erik sah sie erneut auf diese seltsame Art an und wartete wohl darauf, dass sie etwas sagte, aber sie wusste einfach nicht, was. Schließlich streckte er die Hand aus, nahm eines der winzigen schwarzen Kätzchen an sich und begutachtete es eingehend, ohne sein protestierendes Piepsen und Strampeln zur Kenntnis zu nehmen. Danach verfuhr er auf dieselbe Weise mit dem zweiten Tier. Sie wusste nicht, warum er das tat, aber sie kam nicht umhin, die Behutsamkeit zu bewundern, mit der seine vermeintlich so groben Finger mit den winzigen Tierchen umgingen. Seine narbige Pranke war mehr als doppelt so groß wie die zwei Wochen alten Kätzchen, aber sie war sicher, dass er dem winzigen Geschöpf nicht einmal das leiseste Unbehagen zufügte.
    »Zwei kleine Kater«, sagte er, nachdem er ihr auch das zweite Tier zurückgegeben hatte. »Sie kämpfen tapfer, die beiden Burschen. Aber sie werden es nicht schaffen. Hat Ansgar dir das nicht gesagt?«
    »Doch.«
    »Aber du willst es nicht wahrhaben. Nur gibt es manchmal Dinge, die einfach geschehen, ob es uns nun gefällt oder nicht.«
    Erik wurde unterbrochen, als einer seiner Männer den Kopf ins Zelt steckte und ein paar Worte in ihrer polternden Sprache

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