Die Tochter Der Midgardschlange: Die Asgard-Saga
trotz allem insgesamt noch anhingen.
»Ich dachte mir, dass ich dich hier finde«, begann Arla, nachdem sie eine Weile in fast vertrautem Schweigen nebeneinander gesessen hatten. »Bist du sehr gläubig?«
Sie nickte wortlos – was sollte sie denn sonst sein? –, aber das schien Arla als Antwort nicht zu genügen. »Das war eine dumme Frage«, sagte sie. »Wer würde sie schon mit nein beantworten, selbst wenn es nicht so wäre? Ich will sie neu stellen: Glaubst du daran, dass dort oben jemand ist, der über uns wacht und unsere Geschicke bestimmt?«
»Gott, meinst du?«
Seltsamerweise antwortete Arla nur mit einem Schulterzucken und sah sie weiter fragend an.
»Natürlich!«, sagte Katharina hefrig. »Vater Cedric hat gesagt –«
»Ich habe dich nicht gefragt, was Vater Cedric glaubt oder dir gesagt hat, dass du es glauben sollst«, unterbrach sie Arla sanft, »sondern was du glaubst.«
Katharina wollte ganz instinktiv empört auffahren – diese Worte waren eindeutig Ketzerei! –, aber dann begegnete sie etwas in Arlas Blick, das sie nicht nur innehalten, sondern vielleicht zum ersten Mal im Leben wirklich über diese Frage nachdenken ließ.
Ob sie an Gott glaubte? Selbstverständlich glaubte sie an Gott. Wenn es ihn nicht gäbe, wer hätte dann die Welt mit all ihren Tieren und Pflanzen und Menschen erschaffen sollen, wer die Berge, die Meere und die zahllosen Sterne am Himmel, und letzten Endes auch sie? Daran zweifelte sie keinen Atemzug lang. Doch zum allerersten Mal fragte sie sich, was für eine Art von Gott es eigentlich war, der all dies erschaffen hatte und angeblich mit so unendlicher Liebe und Großmut über sie allewachte. Vater Cedric war nie müde geworden, ihnen von seiner Allmacht und Liebe zu predigen, und dem Paradies, das als Belohnung auf alle die wartete, die ein bescheidenes und mildtätiges Leben lebten und seine Gebote befolgten. Aber er war genauso wenig müde geworden, vom Fegefeuer und der ewigen Verdammnis und immerwährenden Höllenqualen zu predigen, die die erwarteten, die das nicht taten. Und wenn Gott tatsächlich so allmächtig und voller Liebe war, warum ließ er dann zu, dass seine Kinder so sehr litten und sich nur zu oft gegenseitig unbeschreibliche Dinge antaten? Einmal hatte sie diese Frage Vater Cedric sogar laut gestellt, und natürlich hatte sie sich damit eine wirklich üble Tracht Prügel eingehandelt. Aber danach hatte sie trotzdem eine Antwort bekommen: weil Gott zwar ihrer aller Vater war, aber ebenso wenig wie ein menschlicher Vater verantwortlich für alles Schlechte, was seine Kinder taten. Und weil das Leben so hart sein musste, um ihnen ausreichend Gelegenheit zu geben, sich zu bewähren und sich des ewigen Lebens im Paradies würdig zu erweisen. Nur die, die nach dem Tag des Jüngsten Gerichts Einlass dorthin fanden, selbstverständlich.
Arla wartete eine ganze Weile vergebens auf eine Antwort, stand schließlich auf und bedeutete ihr mit einem Kopfnicken, ihr zu folgen. »Ansgar hat mir erzählt, wie erstaunt du warst, dass ich die Priesterin hier bin«, sagte sie.
»Es gibt keine Priesterinnen«, antwortete Katharina ganz automatisch. »Nur Männer dürfen das Wort des Herrn verkünden und die Beichte abnehmen.«
»Hat euer Vater Cedric das gesagt?«, wollte Arla wissen. Katharina nickte, und Arla fügte hinzu: »Hat er auch gesagt, warum?«
Die Frage allein war die pure Ketzerei und hätte sie schnurstracks auf den Scheiterhaufen befördert, sofern Vater Cedric sie nicht in heiligem Zorn gleich getötet hätte. Trotzdem versuchte sie wenigstens, sie zu beantworten. »Weil unser Herr Jesus Christus ein Mann war?«
»Und seine Mutter eine Frau, die ihn unter Schmerzen ausgetragen und unter noch größeren Schmerzen geboren hat«, versetzte Arla. »Aber ich habe nicht nach Jesus Christus gefragt, Kar … Katharina, sondern nach Gott. Was meinst du – ist Gott ein Mann oder eine Frau?«
Katharina stockte schier der Atem. »So eine Frage darf man nicht stellen!«
»Sagt Vater Cedric, nehme ich an«, seufzte Arla, machte zugleich aber auch eine wedelnde Geste, nicht darauf zu antworten. Sie ging ganz zum Altar, auf dem Katharina zu ihrem großen Erstaunen eine in schweres Leder gebundene Bibel entdeckte, und deutete auf das hölzerne Kreuz an der Wand darüber.
»Es ist wahr, wir sind Christen«, sagte sie, »wenn vielleicht auch nicht alle in ihrem Herzen. Das war die Bedingung, die euer Kaiser damals gestellt hat, bevor er uns die
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