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Die Tochter der Seidenweberin

Die Tochter der Seidenweberin

Titel: Die Tochter der Seidenweberin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Niehaus
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wieder auf Johannas Antlitz, doch sie ließ sich ohne Widerrede auf die Bank zurücksinken.
    »Das Poltern, das du gehört hast, als der Geist die Treppe herunterkam. Kannst du dich erinnern, wie es klang?«
    Das Mädchen überlegte kurz. »Ein gewöhnliches Poltern, glaube ich. So, als würde jemand mit Trappen die Stiege hinablaufen.«
    »Die Füße des Geistes hast du nicht gesehen?«
    »Nicht richtig. Es war dunkel im Flur. Aber ich glaube, er hatte Trappen an.«
    Lisbeth nickte bedächtig. »Hattest du das Heulen schon vorher gehört?«
    Das Mädchen blickte Lisbeth erstaunt an. »Ja! Ein- oder zweimal. Da konnte ich auch vor Hunger nicht einschlafen und bin zur Küche geschlichen. Aber die Tür war abgeschlossen. Und da habe ich es auch schon gehört.«
    Lisbeth nickte abermals. »Meinst du, die alte Mettel ist wirklich verrückt?«, wollte Lisbeth wissen.
    »So, wie die geschrien hat – ganz sicher!«
    »Ja natürlich. Aber ich meine vor dieser Nacht. Ist sie dir vorher schon sonderbar erschienen? Hat sie geschrien und um sich geschlagen?«
    Johanna überlegte einen Moment, dann schüttelte sie den Kopf. »Nein, eigentlich nicht.«
    »So schnell kann das gehen!«, bemerkte die Köchin, die sich am Herd zu schaffen gemacht hatte.
    Lisbeth brummte unwillig. Für ihren Geschmack war es zu schnell gegangen. »Du gehst nicht zu deiner Meisterin zurück!«, entschied sie, ohne das Mädchen gefragt zu haben. »Du bleibst vorerst hier!«
    Johanna zuckte furchtsam zusammen. Würde die Frau Ime Hofe sie nun doch bestrafen?
    Beruhigend legte Lisbeth ihr die Hand auf die mageren Schultern. »Ich werde eine andere Lehrherrin für dich finden«, erklärte sie freundlich. »Und bis dahin ruhst du dich ein wenig aus. So schmächtig, wie du bist, kannst du ohnehin nicht ordentlich arbeiten.«
    Lisbeth konnte richtiggehend sehen, wie sich die Anspannung auf dem Gesicht des Mädchens auflöste und einem dankbaren Lächeln wich, als es den Sinn ihrer Worte erfasste. Sie war sicher, es würde sich eine andere Lehrherrin für Johanna finden. Katharina Loubach oder ihretwegen auch Frieda Medman. Bei allen würde das Mädchen es besser antreffen als bei Grete.
    »Richte ihr eine Bettstatt in der Kammer unter dem Dach bei den anderen Mädchen«, wies Lisbeth die Köchin an. Dann wandte sie sich noch einmal an Johanna: »Versprich mir nur eines.«
    Das Mädchen nickte eifrig.
    »Du darfst vorerst niemandem mehr von deiner Beobachtung erzählen«, schärfte sie ihr ein. »Rede mit keinem darüber! Auch nicht mit den anderen Mädchen.«
    »Das verspreche ich Euch!«, antwortete Johanna ernsthaft.
    Als die Köchin mit Johanna die Küche verlassen hatte, blieb Lisbeth noch eine Weile am Tisch sitzen. Was sie soeben erfahren hatte, war doch sehr sonderbar und gab ihr zu denken. So recht wollte sie nicht glauben, dass es im Elnerschen Haus spukte, obwohl Johannas Schilderung sehr aufrichtig geklungen hatte.
    Wer hätte je gehört, dass ein Geist hölzerne Trappen trug? Es mochte ein sehr menschlicher Geist gewesen sein, der die alte Mettel gejagt hatte. Und wenn es kein Geist gewesen war, dann versuchte jemand, Mettel in den Wahn zu treiben. Doch wer sollte so etwas Widersinniges tun, überlegte sie. Grete? Ihre eigene Tochter?
    Zutrauen würde Lisbeth Grete diese Grausamkeit jederzeit, doch was hätte sie davon? Niemand mochte gerne mit der Schande leben, einen Verwandten im Geckenhaus zu haben.
    Andererseits jedoch wusste Lisbeth, dass die alte Mettel seit ein paar Jahren nicht mehr arbeitete. Doch nach wie vor kommandierte sie ihre Tochter und die Lehrmädchen herum. Und sie hielt immer noch den Daumen auf den Geldbeutel im Elnerschen Haus. Ohne ihre Zustimmung durfte Grete nicht einmal einen Sack Mehl kaufen.
    Ihre Mutter in den Wahnsinn zu treiben wäre für Grete ein geschickter Weg, sich ihrer zu entledigen, überlegte Lisbeth. Sie müsste zwar für deren Unterhalt im Geckenhaus aufkommen, doch Mettels ganzes Vermögen würde ihr zufallen. Aber dass Grete dafür bereit war, die Schande auf sich zu nehmen, bezweifelte sie dann doch.
    Seit jedoch der neue Transfixbrief in Kraft war, gäbe es für Grete noch ein weiteres Motiv, fiel Lisbeth ein. Sie durfte nicht länger im Hause ihrer Mutter als Seidmacherin arbeiten. Und dass Mettel ihr Geld gab, um einen eigenen Hausstand zu gründen und eine Weberei einzurichten, war kaum zu erwarten.
    Mettels Wahnsinn kam für Grete wirklich zum passenden Moment, dachte Lisbeth. Doch halt! Um die

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