Die Tochter der Seidenweberin
Warten unerträglich zu finden. Zu Unzeiten bekam sie heute Hunger, und wenn sie dann nicht sofort etwas aß, machte er sich mit einem unanständig lauten Knurren bemerkbar. Ob sie sich noch etwas von dem sauren Kappes aus dem Keller holen sollte? Sie hatte zwar am Morgen bereits einen Teller voll des würzigen Kohls gegessen, aber er schmeckte auch gar zu gut. Die Köchin schien diesmal ein anderes Rezept verwendet zu haben. Lisbeth nahm sich vor, sie später danach zu fragen.
Gerade als sie die letzten Fäden des Krautes mit einer Ecke Brot von ihrem Teller aufgewischt hatte, hörte sie das Klappen der Haustür. Das musste Mertyn sein!
Hastig erhob sie sich und eilte ihm entgegen. »Und?«, fragte sie gespannt.
Mertyn lächelte über ihren Eifer. »Ja, der Transfixbrief ist fertig. Verabschiedet und gesiegelt.«
»Erzähl!«, drängte Lisbeth und folgte Mertyn in sein Kontor.
Doch ihr Gemahl genoss es, sie auf die Folter zu spannen. Erst als er das Feuer im Kamin angeschürt hatte, lehnte er sich in seinem Sessel zurück und begann zu berichten: »Es wird verboten, auswärts gezwirnte Seide einzuführen und zu verkaufen. Auch darf sie nicht mit kölnischer vermengt werden.«
Lisbeth nickte zustimmend. »Was noch?«
»Die Seidspinnerinnen dürfen nur noch mit barem Geld und nicht mehr mit Ware entlohnt werden. Nach dem Tod einer Seidmacherin darf der Ehegatte das Gewerbe fortsetzen, und ab sofort verlangt man den Nachweis des Bürgerrechts für die Zulassung zur Zunft«, zählte Mertyn auf. »Dem Rat ist klargeworden, dass der Seidenhandel der Stadt fette Einnahmen beschert. Deshalb wurde genau festgeschrieben, wie das Wiegen gehandhabt werden soll, damit der Rentkammer nichts von den Gebühren entgeht. So muss feucht gewordene Seide vor dem Kauf besichtigt werden.«
Abermals nickte Lisbeth, und Mertyn fuhr fort: »Das Mindestalter für Lehrmädchen ist jetzt elf Jahre, und die Lehrzeit ist um ein Jahr verlängert worden.«
Lisbeth runzelte die Stirn. Das war unnötig. Drei Jahre reichten vollkommen aus, das Handwerk zu erlernen. Diese Maßnahmen dienten nur dazu, den Seidmacherinnen billige und aufgrund des Alters gefügige Hilfskräfte zu bescheren.
»Berchem?«, fragte sie.
»Berchem!«, bestätigte Mertyn und zuckte entschuldigend mit den Schultern. In vielen Punkten war der Rat seinen und Lisbeths Vorschlägen gefolgt. Aber er hatte sich nicht in allen Punkten durchsetzen können.
»Was ist mit den Färbern?«
»Die werden ins Seidamt aufgenommen. Sie müssen das Recht, Seide färben zu dürfen, für fünfzig Goldgulden erwerben und dürfen nur noch für Mitglieder des Seidamtes färben.«
»Das ist ein hoher Preis!«
»Ja«, stimmte Mertyn zu, »dafür wird aber den Seidenweberinnen zugleich verboten, Seide zu färben, und sie dürfen ihre Seide nur noch geschworenen Seidfärbern zum Färben überlassen. Und die Preise für das Färben werden festgeschrieben. Die Färber haben genau Buch zu führen, wie viel und für wen sie färben, um danach die Abgaben für die städtische Rentkammer zu berechnen. Auch da passt der Rat hübsch auf, dass ihm kein Pfennig entgeht. Und sie müssen schwören, das Gewerbe nur innerhalb der Stadt auszuüben und ihr Können nicht aus der Stadt zu tragen.«
»Wunderbar«, lobte Lisbeth. »Und weiter?«
»Tja, es sieht aus, als wäre es den Herren nun Ernst damit, ihre Bestimmungen auch durchzusetzen«, sagte Mertyn und rieb sich zufrieden die Hände. »Wer die Amtsverordnungen böswillig übertritt, riskiert es, aus dem Amt ausgeschlossen zu werden, und muss sogar damit rechnen, seine Bürgerrechte zu verlieren.«
»So muss es sein!«, stimmte Lisbeth zu. »Doch was ist mit dem Verlag?«
Diesen Punkt, der ihr besonders am Herzen lag, hatte Mertyn bisher nicht erwähnt.
»Damit ist es vorbei!«
»Es ist komplett verboten worden, Seide im Verlag weben zu lassen?«, fragte Lisbeth ungläubig. Das wäre zu schön, um wahr zu sein.
»Nicht dem Wortlaut nach«, schränkte Mertyn ein. »Jede Seidmacherin muss jetzt schwören, nur im eigenen Haus, nicht einmal im Haus der Eltern, und nur in Köln ihr Handwerk auszuüben und keine Seide zu verweben, die nicht ihr Eigen ist. Auch nicht die von Eltern oder Verwandten. Und das läuft praktisch auf dasselbe hinaus. Damit ist der Verlag erledigt. Auf den Wortlaut kommt es nicht an.«
»Oh, wie großartig!« Lisbeth sprang auf und eilte um den Tisch herum, um ihren Mann zu umarmen. Von der hastigen Bewegung wurde ihr
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