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Die Tochter der Seidenweberin

Die Tochter der Seidenweberin

Titel: Die Tochter der Seidenweberin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Niehaus
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doch, dass dein innigster Wunsch in Erfüllung geht, oder? Dann rede nicht und lass mich meine Arbeit tun«, entgegnete die Alte barsch, wandte sich ab und kramte in einer Kiste herum, die an der rückwärtigen Wand des Verschlages stand. Einen Augenblick später war sie wieder bei Lisbeth. In der einen Hand hielt sie ein etwa handtellergroßes Stück dunkelroter Seide und eine Seidenschnur von gleicher Farbe. In den Stoff war ein Muster aus Goldfäden gewirkt, wie Lisbeth es noch nie gesehen hatte. Sehr fremdländisch sah es aus.
    Die andere Hand hielt die Alte ihr nun entgegen. Auf der geöffneten Handfläche erkannte Lisbeth ihr Haar, einen winzigen grünen Zweig und dazu etwas Krümeliges, das wie zerstoßene Rinde aussah. Ein betörender Duft stieg davon auf, es mochten Gewürze aus den neuen Ländern sein.
    »Los, spuck darauf!«, kommandierte die Alte.
    »Aber …«
    »Red nicht, spuck!«
    Lisbeth beugte sich vor und sog den betörenden Duft ein. Schwer und sinnlich war er, doch zugleich mit einer herben Note. »In Gottes Namen«, erwiderte sie ergeben und spuckte der Alten auf die Handfläche.
    Mit der freien Hand breitete die Frau das Stoffstück auf Lisbeths Schoß aus und strich es mit ihrem knotigen Knöchel glatt. Dann verrieb sie die Gewürze mit Lisbeths Haar und Speichel und plazierte sie genau in der Mitte des Tuchfetzens.
    Gespannt beobachtete Lisbeth, wie die Alte mit spitzen Fingern das Tuch um die geheimnisvollen Ingredienzien herum zu einem kleinen Beutelchen zusammenraffte. Um die Enden des Stoffes wand sie sorgfältig die Seidenschnur und verschloss das Amulett mit einem Knoten. Dabei murmelte sie für Lisbeth unverständliche Worte, während ihr Oberkörper, einem unhörbaren Rhythmus folgend, vor und zurück schwang.
    Die Worte der Alten wurden lauter, gingen in einen monotonen Singsang über, während sie weitere Knoten hinzufügte. Schließlich beugte sie sich vor, legte Lisbeth die Schnur um den Hals und verschloss sie mit einem letzten Knoten. »So«, bemerkte sie, »das sollte genügen. Nun kannst du gehen.«
    Erleichtert reichte Lisbeth der Alten das Geldstück.
    Mit scheelem Blick beäugte diese die kleine Münze. »Meinst du nicht, dass das ein bisschen wenig ist für die Erfüllung deines größten Wunsches?«, tadelte sie.
    Lisbeth seufzte. Ihr war von Anfang an bewusst gewesen, dass die geschäftstüchtige Alte sie nur aus diesem Grund in ihre Höhle geholt hatte. Doch ihr stand nicht der Sinn nach langem Feilschen. Sie wollte nur noch fort von hier, so schnell wie möglich. Wollte sehen, wie es daheim stand.
    Ergeben angelte sie nach einem weiteren Geldstück und reichte es der Alten. Diese nickte zufrieden. »Denk daran: Nur wenn man sich etwas wirklich wünscht, dann geht es auch in Erfüllung«, sagte sie.
    Natürlich! Wenn der Zauber nicht funktionierte, konnte man schließlich behaupten, der Kunde hätte nicht fest genug daran geglaubt, dachte Lisbeth, als sie auf die Straße trat. Alle, die sich mit dem Aberglauben der Menschen ihr Brot verdienten, versäumten nicht, sich ein solches Hintertürchen offen zu lassen.
    »Nur leider gehen Wünsche meist ein wenig anders in Erfüllung, als man es sich vorgestellt hat«, murmelte die Alte hinter ihr her, doch Lisbeth beachtete sie nicht weiter. Sie blickte verwundert auf die gegenüberliegende Seite der Straße. Unverkennbar, auch nach Einbruch der Dunkelheit, war das dort drüben das Torhaus der Wolkenburg! Wieso hatte sie das vorhin nicht bemerkt, fragte Lisbeth sich. Sie musste sehr kopflos gewesen sein, dass sie die Cäcilienstraße nicht erkannt hatte. Doch mehr noch verwunderte es sie, dass ihr der Fuchsbau der Alten nie zuvor aufgefallen war. Er erweckte beileibe nicht den Eindruck, als gäbe es ihn erst seit gestern.
    Gott sei es gedankt, dass das Feuer diesen Teil der Stadt bislang verschont hatte, dachte Lisbeth, und gern würde sie den Worten der Alten Glauben schenken, dass im Haus Zur Roten Tür alles zum Besten stand. Dennoch trieb die Sorge sie voran.
    Zerrissen zwischen Bangen und Hoffen, setzte Lisbeth ihren Heimweg fort. Über dem Heumarkt und nahe dem Rheinufer zeichneten die Flammen fiebrig rot ihre schaurigen Bilder in den Nachthimmel. In dieser Richtung lag auch Sankt Alban und das Haus Zur Roten Tür. Ohne dass Lisbeth etwas dazutat, schritt sie schneller aus. Immer eiliger hastete sie voran, befürchtete, jeden Moment wieder einer Wand aus Rauch und Feuer gegenüberzustehen, die sie daran hinderte, nach

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