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Die Tochter der Seidenweberin

Die Tochter der Seidenweberin

Titel: Die Tochter der Seidenweberin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Niehaus
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verwarf den Gedanken. Du bist auch nicht besser als Jacoba, schalt sie sich selbst. Jetzt verdächtigst du schon Clairgin! »Da könnte ja jeder verdächtig sein«, fasste sie schließlich ihre Gedanken laut in Worte.
    »Jeder oder keiner. Du zumindest hast dich verdächtig gemacht!«, entgegnete Mertyn. Die Missbilligung in seiner Stimme war nicht zu überhören. »Ich glaube nicht, dass du es warst, die den Berchems die Werkstatt abgefackelt hat. Keiner wird das ernsthaft in Erwägung ziehen. Aber es reicht, dass man in der Stadt über dich spricht. Allein dass man darüber spekuliert, du könntest es gewesen sein, schadet unserem Ansehen. Von meiner Gemahlin erwarte ich tadelloses Benehmen!«
    »Ach was! Du kümmerst dich ja sonst auch nicht darum, was ich mache!«, gab Lisbeth hitzig zurück. »Aber jetzt, wo es an deinem Ansehen kratzt, da ist es dir plötzlich wichtig, was ich tue!« Verärgert warf sie sich auf die andere Seite und wandte Mertyn den Rücken zu. Diese verdammten Kerle mit ihrer Ehre! Stumm äffte sie Gatten und Schwager nach: »Von meiner Gemahlin erwarte ich tadelloses Benehmen! Es ist einer Imhoff unwürdig, ein Handwerk zu erlernen. Es geziemt sich nicht …«
     
    »Ich schwöre, dass ich die Bestimmungen des Amts- und des Transfixbriefes genau befolgen werde …« Mit feierlicher Miene sprach Sophie ihrer neuen Lehrherrin die Worte nach. Es war ihr erster Tag als Lehrmädchen im Hause ihrer Tante, doch ihre Gedanken wanderten bereits auf Abwegen.
    Früh am Morgen hatte ihre Mutter sie in die Obermarspforte geleitet und sie Lisbeths Obhut übergeben. Für die kommenden vier Jahre würde nun das Haus Zur Roten Tür ihr Zuhause sein, und sie würde sich mit den anderen Lehrmädchen gemeinsam eine Kammer unter dem Dach teilen, nicht mehr wie bisher mit ihren drei Schwestern.
    Sophie war nicht traurig darum. Ihre Schwestern waren eitle Puten, die sich für nichts interessierten als für das eigene Aussehen. Vor allem Johanna, die Ältere, ließ keine Gelegenheit ungenutzt, an Sophies Äußerem herumzumäkeln: Bind dir deine Zöpfe neu, zieh dir eine saubere Schürze an, tu dieses, lass jenes! Nein, Sophie würde die drei sicher nicht vermissen! Vielmehr war sie schon sehr gespannt, die anderen Lehrmädchen endlich kennenzulernen.
    »… und dass ich weder durch Rat noch durch Tat dazu beitragen werde, dass das Seidenhandwerk aus Köln herausgetragen werde!«, beendete Lisbeth die Eidesformel, die jedes Lehrmädchen nach dem neuen Tansfixbrief zu Beginn seiner Lehrzeit zu schwören hatte. Sophie war etwas zügellos, dachte Lisbeth, da konnte es nicht schaden, ihr mit ein wenig Feierlichkeit zu verdeutlichen, dass nun für sie ein neuer Lebensabschnitt begonnen hat, der so manche Veränderung mit sich bringen würde. Deshalb hatte Lisbeth alle – ausgelernte Seidmacherinnen wie Lehrmädchen – in der Werkstatt zusammengerufen und ihnen ihre Nichte vorgestellt. Den Namen einer jeden hatte sie Sophie genannt, und nun ließ sie diese vor den Versammelten ihren Eid sprechen.
    Lisbeth blickte ihre Nichte an, in der Erwartung, dass Sophie nun ihre Worte wiederholen würde. Doch nichts geschah. Sophie schaute neugierig in der Werkstatt umher, anstatt den Worten ihrer Lehrherrin zu folgen.
    Na, das fing ja schon gut an, dachte Lisbeth. Das Kind würde viel zu lernen haben. »Sophie!«, rügte sie.
    Einem der Lehrmädchen entfuhr ein leises Kichern.
    »Ja, Tante Lisbeth?«
    »Sophie, du sollst mir den Eid nachsprechen!«
    »Ja. Entschuldige, Tante Lisbeth. Es ist alles so neu und so aufregend hier und …«
    »Schon gut!«, unterbrach Lisbeth sie. »Vorab noch eines: Du wirst mich ab sofort mit ›Frau Meisterin‹ ansprechen, wie die anderen Lehrmädchen es auch tun. Du willst doch nicht, dass ich deinetwegen Extrawürste brate?«
    »Nein, Tan…, ich meine: Nein, Frau Meisterin.«
    Lisbeth nickte. »Und nun den Eid.« Langsam wiederholte sie die Worte, und diesmal sprach Sophie sie ohne Fehler nach.
    Als die anderen wieder an ihre Arbeit gegangen waren, blieb Sophie in der Mitte des Raumes stehen, die Hände hinter dem Rücken verschränkt, und blickte ihre Lehrherrin erwartungsvoll an. »Was soll ich als Erstes tun?«, fragte sie eifrig.
    »Das hier ist eine Spule«, erklärte Lisbeth, nahm eines der glattgeschliffenen hölzernen Röhrchen aus einem Korb und zeigte es Sophie. Es mochte vielleicht so lang und dick sein wie ein Finger und hatte an den beiden Enden breitere Ränder. »Die Spule

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