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Die Tochter der Seidenweberin

Die Tochter der Seidenweberin

Titel: Die Tochter der Seidenweberin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Niehaus
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Hause zu gelangen.
    Doch diesmal erreichte sie die Obermarspforte ohne weitere Zwischenfälle. Das Feuer hatte die Straße verschont, und die Alte hatte recht behalten: Im Haus Zur Roten Tür war alles in bester Ordnung, alle Bewohner waren wohlauf.
    Doch auf dem Fischmarkt, am Heumarkt, auf dem Eigelstein, in der Gasse Unter Sechzehn Häusern und bei Sankt Gereon wüteten die Feuer bis tief in die Nacht, und als am Morgen eine bleiche Sonne durch die rauchigen Schwaden stach, fand sie etliche Häuser bis auf die Grundmauern niedergebrannt.
    Tagelang erging sich die Stadt in wüsten Spekulationen: Wer, warum und wieso, wer nicht und wer ganz bestimmt oder bestimmt gar nicht die Feuer gelegt hatte. Denn dass es sich um Brandstiftung handelte, das war unbestritten, darin war man sich einig. Die Mutmaßungen machten auch vor dem Haus Zur Roten Tür nicht halt.
    »Man redet über dich!«, sagte Mertyn einige Tage darauf, nachdem er des Abends das Nachtlicht in ihrer Schlafkammer gelöscht hatte.
    »Und, was sagt man?«, fragte Lisbeth schläfrig.
    »Du bist gesehen worden!«
    »Wobei?« Lisbeth gähnte.
    »Es heißt, du seist heimlich um das Haus Zum Kleinen Schönwetter herumgeschlichen.«
    »Was bin ich?«
    »Man hat dich in der Nähe des Hauses Zum Kleinen Schönwetter gesehen«, wiederholte Mertyn, »an jenem Nachmittag, kurz bevor die Brände ausbrachen.« Seine Stimme klang besorgt, doch Lisbeth entging nicht der Anflug von Ärger, der darin mitschwang.
    Mit einem Schlag war sie hellwach. Jäh drehte sie sich zu ihrem Gemahl herum und stützte sich auf den Ellbogen. »Du meinst, ich hätte die Feuer gelegt?«, rief sie aufgebracht und versuchte angestrengt, ihm ins Gesicht zu blicken. Doch die Düsternis in der Kammer verbarg seine Züge.
    Mertyn schwieg einen Moment, als wäge er seine Worte sorgfältig ab. »Natürlich nicht«, sagte er schließlich. »Aber ein wenig seltsam mutet es schon an, das musst du zugeben. Du kommst spät am Abend heim, bist voller Ruß und erklärst, dass du bei einer seltsamen Alten warst, die gegenüber der Wolkenburg wohnt und die du nie zuvor gesehen hast. Und in der Stimmung, in der du an jenem Nachmittag warst, als du das Haus verlassen hast …« Mertyn vollendete seinen Satz nicht. Unausgesprochen schwebte die Anklage über der Bettstatt der Eheleute.
    »Du hältst mich also der Brandstiftung für fähig?«, fragte Lisbeth ungläubig. »Das ist nicht dein Ernst!« Fassungslos schüttelte sie den Kopf. Sie wusste nicht, ob sie lachen sollte ob dieser absurden Verdächtigung oder ob sie Mertyn zürnen sollte, dass er sie einer solch verruchten Tat für fähig hielt.
    Als Lisbeth sich den bewussten Nachmittag ins Gedächtnis zurückrief, entstand vor ihrem inneren Auge ein junges Gesicht mit spitzem Kinn und grau-grünen Augen. Jacoba! Diese miese kleine Kröte! Das war Verleumdung, üble Nachrede! Da konnte ja jeder verdächtig sein, der an jenem Tag in der Gasse unterwegs gewesen war.
    Am liebsten wäre Lisbeth sofort ins Haus Zum Kleinen Schönwetter gelaufen und hätte dem fiesen Aas eigenhändig den Hals umgedreht. Dabei hatte Jacoba nicht einmal gelogen. Sie war wirklich in der Nähe des Berchemschen Hauses gewesen – wie viele andere auch. Allein dadurch, dass Jacoba dies im Zusammenhang mit den Feuern erwähnte, erschien es jedoch in einem ganz anderen Licht.
    Doch Lisbeth wusste, gegen derlei Gerede war man machtlos. Was immer sie auch unternähme, es wäre nur Wasser auf die Mühlen der Klatschweiber!
    In Lisbeths Erinnerung löste sich das Bildnis von Jacoba auf und machte einem anderen Gesicht Platz. Einem Gesicht, das ihr nur allzu vertraut war: Clairgins Gesicht.
    Auch Clairgin war an jenem Nachmittag in der Nähe des Hauses Zum Kleinen Schönwetter gewesen, und Lisbeth war die Heimlichkeit aufgefallen, mit der Clairgin sich umgeschaut hatte. Damals hatte Lisbeth dies mit der Peinlichkeit gerechtfertigt, die es für Clairgin bedeuten mochte, ihre Ware von Tür zu Tür feilzubieten. Was jedoch, wenn deren Verstohlenheit einen ganz anderen Grund hatte?
    Der Gedanke war reichlich absurd, aber nicht unwahrscheinlicher als das, was ihr Gemahl gerade angedeutet hatte. Clairgins Motiv wäre dasselbe, das Mertyn ihr unterstellen mochte, doch anders als Lisbeth hatte Clairgin um ihre Existenz zu kämpfen, die von Brigitta van Berchem und den anderen reichen Seidmacherinnen bedroht wurde. Sie hätte wirklich einen guten Grund …
    Das war dummes Zeug, entschied Lisbeth und

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