Die Tochter der Seidenweberin
von Adel. Hübsch genug ist sie dafür.« Andreas bedachte seine Tochter mit einem Blick, der Lisbeth nicht behagte. So einen Blick hatten gewöhnlich Pferdehändler, die sich des Wertes der Klepper, die sie zu Markte führten, bewusst waren.
»Es kann nicht schaden, wenn ein Mädchen etwas Anständiges lernt. Man weiß nie, wie es im Leben kommt«, unkte Lisbeth.
»Das ist reine Zeitverschwendung. Sie soll lernen, ein herrschaftliches Haus zu führen. Das ist es, was sie können muss.«
»Sie ist noch so jung, dafür ist später noch Zeit genug.«
»Damit kann sie nicht früh genug anfangen. Außerdem ist es einer Imhoff unwürdig. Ihre Basen in Augsburg und Nürnberg kämen nie auf die Idee, ein Handwerk zu erlernen.«
»Wir sind hier aber nicht in Augsburg oder Nürnberg! Und ihrer Großmutter oder mir ist bei der Seidenweberei kein Zacken aus der Krone gefallen«, widersprach Lisbeth empört.
Der hochmütige Blick, mit dem Andreas ihre Äußerung quittierte, zeigte Lisbeth deutlich, was er von ihrer Würde und der ihrer Mutter hielt. Brennend stieg Lisbeth das Blut ins Gesicht. Was glaubte ihr Schwager eigentlich, wer er war?
»Hast du am Ende dem Kind diese Flausen in den Kopf gesetzt?«, fragte Andreas ätzend. »Das würde dir zu Gesicht stehen!«
»Andreas!«, rügte Agnes, die wie Sophie bislang schweigend dem Disput gefolgt war. »Lisbeth hat schon recht. Man weiß nie, wie es im Leben kommt. Wenn ich meine Mitgift in eine Weberei investiert hätte, dann wäre sie jetzt nicht fort, verschluckt von deinen Geschäften!«
Lisbeth sog scharf die Luft ein und blickte ihre Schwester erstaunt an. Einen so resoluten Ton hatte Agnes sich ihrem Gatten gegenüber noch nie erlaubt. Zumindest nicht in ihrem Beisein. Etwas schien zwischen den Eheleuten vorgefallen zu sein, dachte sie. Etwas, das das Verhältnis zwischen ihnen grundlegend geändert hatte.
Ruhig, doch bestimmt fuhr Agnes fort: »Wenn das Kind es also gerne möchte, solltest du es gestatten!«
Widerwillig zuckte Andreas mit den Schultern. Ohne ein weiteres Wort wandte er sich ab und ließ die Damen allein.
Als sich die Stubentür hinter ihm geschlossen hatte, fiel Sophie Lisbeth stürmisch um den Hals. »Ich werde Seidmacherin«, jubelte sie glücklich. »Danke, Tante Lisbeth. Und danke, Mutter!«
»Das wäre entschieden!« Agnes lächelte entschuldigend. »Sophie ist ein Wildfang. Sie braucht dringend eine Aufgabe. Ich glaube, die Lehrzeit bei dir wird ihr guttun. Wann soll ich sie zu dir schicken?«
»In zwei oder drei Wochen, wenn das nächste Lehrmädchen mich verlässt.«
Agnes nickte, doch Sophie zog ein langes Gesicht. »Och, das ist noch so lange hin«, maulte sie enttäuscht.
Ob der Ungeduld des Kindes musste Lisbeth lachen. So war sie früher auch gewesen, erinnerte sie sich, als sie auf die Straße hinaustrat. Auch sie hatte es kaum erwarten können, endlich Seidmacherin zu werden.
Lisbeth hatte bereits ein gutes Stück ihres Heimweges hinter sich gebracht, als der Dunst, der über der Stadt lag, dichter wurde. Es roch verbrannt, so, als verhindere der Nebel, dass der Rauch aus den Kaminen in den Himmel aufstieg. Lisbeth zog den Mantel enger um sich und hielt sich einen Zipfel des Tuches vor Mund und Nase, um besser atmen zu können.
Ein roter Schimmer färbte den Dunst, und in dem Moment hörte Lisbeth das scheppernde Läuten: Man schlug eine Feuerglocke! Der Rauch stammte nicht von den Kaminen der Häuser, erkannte sie – es brannte in der Stadt!
Eine zweite Feuerglocke kam der ersten zu Hilfe, dann setzte eine dritte Glocke in das warnende Geläut mit ein. Lisbeth beschleunigte ihren Schritt. Sie konnte nicht sehen, wo es brannte. Das Läuten schien überall um sie her zu ertönen.
»Lieber Gott! Bitte lass es nicht das Haus Zur Roten Tür sein!«, schickte Lisbeth ein Stoßgebet zum Himmel. Sie musste so schnell wie möglich nach Hause! Eilig hastete sie um die Ecke und bog in Unter Wappensticker ein. Es war nicht mehr weit. Nur noch ein Stück diese Gasse entlang, dann käme sie zu der Ecke, an der die Obermarspforte Unter Wappensticker kreuzte, und sie wäre fast daheim.
Der Rauch wurde dichter, brannte Lisbeth in den Augen und drang durch den Stofffetzen, den sie sich vor Mund und Nase presste. Hustend eilte sie voran. Das Tor zum Hof des Hauses Zum Kleinen Schönwetter, in dem die Berchem-Schwestern ihre Werkstatt hatten, stand offen. Anscheinend sorgte man sich auch hier um die Brände.
Wie getrieben eilte Lisbeth
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