Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Tochter der Seidenweberin

Die Tochter der Seidenweberin

Titel: Die Tochter der Seidenweberin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Niehaus
Vom Netzwerk:
fand sogar ein Fässchen mit barem Geld sein sicheres Versteck unter den hölzernen Planken.
    Auch der ehrbare Rat der Stadt Köln war von der Betriebsamkeit nicht verschont geblieben. Um die Sicherheit ihrer Kaufleute auf der Hin- und Rückreise zu gewährleisten, hatten die Stadtväter zahllose Geleitsbitten an die Fürsten und Städte gerichtet, die auf der Rheinstrecke oder der Köln-Frankfurter Straße Geleitsrechte hatten: an die Rheinischen Kurfürsten, die Landgrafen von Hessen, die Grafen von Katzenellenbogen, Sayn und Wied, die Herren von Isenburg, das Mainzer Domkapitel, die Stadt Mainz, gelegentlich auch an die Städte Koblenz und Andernach und schließlich an die Stadtväter von Frankfurt. Vor der Abreise pflegte der Rat den Reisewilligen dann in einer Morgensprache von der Rathauslaube herab mitzuteilen, wie sicher das Geleit schließlich war, das zu erwarten stand.
    In vergangenen Jahren hatte der Rat den Kaufleuten mehr als ein Mal schon die Reise verboten, weil einer oder mehrere der Geleitherren aus politischen oder aus finanziellen Gründen – etwa um höhere Zahlungen für das Geleit durchzusetzen – den Kölnischen die Durchreise verwehrt hatte. Doch in diesem Jahr hatte der Rat seine Händler ohne Bedenken ziehen lassen, und so waren es um die fünfzig Großhändler und wohlhabende Handwerker, die sich in Köln auf den Weg gemacht hatten, dazu ungezählte Krämer und Kleinhändler, die versuchen würden, in Frankfurt günstig einzukaufen, um die Waren später daheim gewinnbringend an ihre Kunden abzusetzen.
    Die Fernkaufleute hatten ihre mit Salz, Heringen, Käse und englischem Tuch gefüllten Kästen, Ballen und Packen – nicht zu vergessen die Wein- und Bierfässer, die sie zu ihrem eigenen Verbrauch mitführten – auf ein, zwei oder gar drei Schiffe verteilt und waren mit Weib und Knechten auf die Reise gegangen.
    Die Handwerker hatten ihre Erzeugnisse, all die Wolltücher, Bettlaken, Häute, Waffen, Zinnschüsseln, Hauben und Ransen, Stiefel und Hosen verpackt und sie auf Karren oder auf die Oberländer geschafft.
    Sogar Packer und Makler hatten ihr Bündel geschnürt, um ihren Mitbürgern – mit Genehmigung der Stadt Frankfurt – die gewohnten Dienste zu leisten, und selbst der eine oder andere Bestatter reiste mit, für den Fall, dass ein Kölnischer in der Fremde unerwartet vor seinen Schöpfer treten würde.
    Die Kölnischen stellten die größte Gruppe, die nach Frankfurt reiste, dichtauf gefolgt von den Nürnbergern und den Augsburgern. Doch auch aus Speyer, Worms, Mainz, Ravensburg und aus Lübeck strebten Händler und Handwerker, Höker und Bauern der Stadt am Main zu, die verheißungsvoll mit guten Geschäften lockte.
    Je näher sie der Stadt kamen, umso dichter wurde der Verkehr auf den Straßen, umso schleppender ging es voran. Zumal so manch einer lebende Waren mit sich führte und sich daher Pferde und Rinder zwischen den Karren drängten.
    Alle wollten beizeiten vor Ort sein, wenn acht Tage nach Egidi, zu Beginn des Septembers, die Herbstmesse ihren Anfang nahm, und so wurden die Tore der Stadt zu Nadelöhren, denn ein jeder wollte sie passieren, bevor man sie für die Nacht schloss. Es wurde gedrängelt und geschubst. Ungeduld ergriff die Fuhrleute. Laut ließen sie die Peitschen über die müden Rücken der Zugtiere knallen. Ihr Gebrüll mischte sich mit dem der Tiere und schmerzte Lisbeth in den Ohren.
    Endlich, als die Sonne bereits lange Schatten warf, passierte auch ihr Pferdefuhrwerk das Tor und rollte in die Stadt hinein. Trotz aller Müdigkeit verspürte Lisbeth das erwartungsvolle Prickeln, das sie stets in diesem Moment ergriff, eine seltsame Mischung aus Vorfreude und Anspannung. Ob all ihre Seidwaren sicher nach Frankfurt gelangt waren? Und ob es ihr auch in diesem Jahr gelingen würde, gute Preise dafür zu erzielen? Nun, man würde es abwarten müssen. Zunächst einmal – Gott sei es gedankt – war die Reise ohne böse Zwischenfälle verlaufen.
     
    Ausgeschlafen und voller Tatendrang erwachte Lisbeth am Morgen in ihrer Kammer im Steinernen Haus, der Herberge, in die sich die kölnische Kaufmannschaft stets zu Messezeiten einzumieten pflegte. Die Erschöpfung von der Reise hatte sie nach einem kurzen Nachtmahl rasch in die Federn sinken und in tiefen traumlosen Schlaf fallen lassen, obwohl es für sie ungewohnt gewesen war, ohne Mertyn in der Herberge zu nächtigen. Angesichts der Wichtigkeit der anstehenden Entscheidungen des Rates hatte ihr

Weitere Kostenlose Bücher