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Die Tochter der Seidenweberin

Die Tochter der Seidenweberin

Titel: Die Tochter der Seidenweberin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Niehaus
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Pöbel ausliefern würde, der die Herrschaft in den Straßen übernommen hatte, damit dieser seine Mordlust an ihnen abreagiere und die Stadt endlich wieder zur Ruhe finden würde.
    Und wenn es nach dem Willen des Pöbels ginge, so würden alle Mitglieder des Rates – schuldig oder nicht – ohne Unterschied sogleich erschlagen oder an den nächsten Galgen geknüpft. Lisbeth schlug die Hände vor die Augen, um die Bilder zu vertreiben, die sich ihr aufdrängten: Mertyn im Turm eingekerkert, Mertyn, wie sie ihn peinlich befragten, wie sie ihn dann zum Richtplatz führten …
    »Lieber Gott«, betete sie verzweifelt. »Steh ihm bei! Mach, dass er zurückkommt!«
    Und wenn nicht? Lisbeth wagte es kaum, den Gedanken zu Ende zu denken. Sie konnte sich das Leben ohne Mertyn nicht vorstellen. Nicht mehr des Morgens neben ihm zu erwachen, ihn nicht den Tag über geschäftig in seinem Kontor zu wissen. Nicht mehr zu sehen, wie er Andreas die Welt erklärte, so wie er einst in Kindertagen mit unerschöpflicher Geduld alle ihre Fragen beantwortet hatte.
    Die Vorstellung, dass es Mertyn nun vielleicht nicht mehr vergönnt war, zu erleben, wie seine Söhne aufwuchsen und zu Männern reiften, versetzte ihr einen schmerzhaften Stich. Mehr als einmal hatte er vorausgesagt, dass aus Andreas einmal ein großer Kaufmann würde und Peter ihm einst in den Rat der Stadt nachfolgen würde.
    Lisbeth presste die Hand auf den Mund und unterdrückte einen lauten Schluchzer. Die Kinder waren nach der unruhigen Nacht erschöpft eingeschlafen, und sie wollte nicht, dass sie aufwachten. Hastig stopfte sie sich den Zipfel eines Kissens in den Mund und weinte still in die Laken.
    Sie spürte noch Mertyns letzte Umarmung auf der Haut. Nie wieder würde er sie zärtlich berühren! Die Vorstellung schnürte ihr die Kehle zu, und die Tränen rannen über ihr Gesicht. Wie sehr sehnte sie sich gerade jetzt danach, dass Mertyn sie in den Arm nahm, sie wiegte wie ein Kind und ihr versicherte, dass alles gut würde.
    Aber nichts würde gut werden, auch für sie und die Kinder nicht, wenn Mertyn nicht zurückkäme. Man würde ihr alles nehmen, das Haus und das Geld, denn gewöhnlich wurde das Vermögen eines Verurteilten eingezogen, und den Angehörigen blieb nur das Elend.
    Wie schnell würden die Stadtwachen handeln, fragte Lisbeth sich bang. Bliebe ihr genug Zeit, das Geld aus dem Versteck zu holen und die Stadt zu verlassen? Und sollte sie dann nach Valencia zu ihrer Mutter reisen, wie sie Mertyn versprochen hatte? Es wäre wohl das Beste …
    Nein! Energisch schob Lisbeth diesen Gedanken von sich. So weit wollte sie jetzt noch nicht denken, denn noch bestand Hoffnung. Wenn es eine gerechte Befragung geben würde, dann würde vielleicht alles gut werden. Wie eine Ertrinkende klammerte Lisbeth sich an diesen Gedanken. Im Zunftausschuss saßen auch einige vernünftige Männer. Viele davon kannten Mertyn und wussten, dass er ein aufrechter Mann war. Sie würden nicht zulassen, dass man ihn verurteilte. Wenn es doch nur um den Zunftausschuss ginge!
    Ihr blieb nichts als quälendes Warten. Die Minuten zogen sich zu Stunden voller nagender Ungewissheit. Doch solange keine schlechten Nachrichten eintrafen, blieb ihr wenigstens die Hoffnung.
     
    Am Haus zum Quattermarkt war kaum ein Durchkommen. Scharen bewaffneter Zunftgenossen hatten sich auf dem Platz vor dem Haus postiert und versuchten, den Pöbel zurückzuhalten. Für die Ratsherren, die der Aufforderung des Zunftausschusses gefolgt waren, geriet es zum reinen Spießrutenlaufen, den Quattermarkt zu überqueren und in das Haus zu gelangen. Kaum einer von ihnen, der nicht mindestens einen unsanften Hieb erhielt, und nur den Zünftigen war es zu verdanken, dass die gnädigen Herren es heil bis in den Saal hineinschafften.
    Es waren nicht alle Ratsherren gekommen, stellte Mertyn mit einem Blick in die Runde fest. Natürlich nicht. Manch einer, den er noch am Vortag im Rathaus gesehen hatte, mochte sich nun in seinem Haus oder einem geheimen Gelass verbergen. Aus der Stadt hinaus hatte man sicher keinen von ihnen gelassen.
    Oben und unten schienen sich verkehrt zu haben, dachte Mertyn, während sich der Zunftmeister des Wollenamtes Ruhe im Saal verschaffte. Hier standen sie nun, die vordem so stolzen Ratsherren, wie ein Häufchen Elender zusammengedrängt, bewacht von einer Schar Schwerbewaffneter, um sich vor dem Ausschuss der Zünfte für ihre Taten zu rechtfertigen.
    Jetzt zeigte sich deutlich, aus

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