Die Tochter der Seidenweberin
war nicht vorbeigegangen, ohne bei ihm Spuren zu hinterlassen.
»Mich und einige andere, denen sie nichts vorzuwerfen hatten, ließen sie gehen und versicherten, dass wir vor weiterer Belästigung und Verfolgung sicher seien. Die anderen dagegen wurden in den Turm gebracht. Nur mit Johann von Oldendorp machen sie einen bitteren Fehler!« Müde strich Mertyn sich mit der Hand über das Gesicht. Die Erschütterung darüber war ihm deutlich anzumerken.
»Er ist ein anständiger Mann, das wissen die Herren vom Zunftausschuss sicher auch. Doch der Pöbel würde es ihnen nicht nachsehen, wenn sie bei einem Bürgermeister Milde walten ließen. Deshalb hat er wohl wenig Gerechtigkeit zu erwarten«, schloss er.
»Es ist unfassbar!«, empörte Andreas sich. »Da erheben sich ein paar wildgewordene Handwerker, erdreisten sich, eine Regierung zu bilden, und maßen sich an, über ordentliche Ratsherren, die aus angesehenen Familien stammen – zumindest die meisten von ihnen –, zu Gericht zu sitzen!«
Bedächtig wiegte Mertyn den Kopf. »In gewisser Weise hast du recht. Aber der Rat hat sich in den vergangenen Jahren nicht eben durch Rechtschaffenheit und weise Geschäftsführung ausgezeichnet.«
»Sag nur, du heißt es auch noch gut, was dieser Pöbel da veranstaltet!«, rief sein Schwager aufgebracht.
»Natürlich nicht. Aber vielleicht ist es der einzige Weg, endlich einen Rat zu bekommen, der wirklich im Sinne der Bürger handelt.«
»Indem man alle alten Ratsherren aufknüpft!«
»Bei Gott! Nein! In meinen Augen würde der Gerechtigkeit Genüge getan, wenn man die Schuldigen ihres Amtes entheben und sie mit Geldstrafen belegen würde. Der eine oder andere mag vielleicht Schlimmeres verdient haben. Doch ich fürchte, für milde Strafen ist es jetzt zu spät. Dazu haben wir es zu weit kommen lassen.«
Am nächsten Morgen machten Mertyn und Lisbeth sich mit Hilfe von Mathias und den Mägden im Haus Zur Roten Tür daran, die Verwüstungen, die der Pöbel angerichtet hatte, zu beseitigen. In der Küche fehlten zwar einige Töpfe und Tiegel und die meisten Lebensmittel aus der Speisekammer, doch viel hatten die Plünderer nicht davongetragen. Gewissenhaft waren sie bei ihrer Suche nicht vorgegangen. Bis in die oberen Geschosse des Hauses und zur Werkstatt waren sie zum Glück nicht gelangt, wohl aber in Mertyns Kontor, wo sie einen Teil der Folianten aus den Regalen gerissen und auf dem Boden verstreut hatten.
In der Stube hatten sie ihre Wut darüber, nichts von Wert vorgefunden zu haben, ausgelassen. Den Tisch hatten sie umgestürzt, einige der Stühle zerschlagen und das Regal mit den Trinkbechern von der Wand gerissen. Die farbigen Kissen, die zuvor die Bank geziert hatten und die von Lisbeth und Katryn in jahrelanger Arbeit bestickt worden waren, hatten sie aufgeschlitzt, und die Federn fanden sich im ganzen Raum verteilt. Doch hier hatten die Mägde die größte Unordnung bereits beseitigt.
Wie im Haus Zur Roten Tür gingen die Bürger in der ganzen Stadt daran, die Verwüstungen an Häusern und Gärten zu beheben, reparierten zerbrochene Türen und ersetzten eingeschlagene Fenster.
Auch der Zunftausschuss auf dem Quattermarkt beeilte sich, Ordnung zu schaffen und der Stadt eine neue Regierung zu geben, damit alsbald wieder Ruhe und Frieden einkehre. Daher waren schon früh an diesem Morgen die alten Ratsherren, sowohl die eingekerkerten als auch die freigelassenen, durch neue ersetzt worden. Gegen elf Uhr führte man die Neugewählten in die Ratskammer, wo sie Gerhard vom Wasserfasse und Johann Rinck zu neuen Bürgermeistern wählten, und bereits zu Mittag versammelte sich der neue Rat zu seinem ersten Mahl im Rathaus.
Als Beweis dafür, dass er beabsichtige, die Belange der Stadt in Übereinstimmung mit dem Wunsch des Volkes zu vertreten, befahl der neue Rat, nach denjenigen der alten Ratsherren, die sich nicht dem Zunftausschuss auf dem Quattermarkt gestellt hatten, zu fahnden und sie zu ergreifen, falls nötig, sogar an geweihten Orten und in geistlichen Hoheitsgebieten. Sobald man die flüchtigen Ratsherren gefasst und in den Turm gesperrt hatte, begannen im Keller des Greven Johann Edelkind die Verhöre.
Den Fuchs traf es als Ersten. Man hatte ihn im Kloster zu den weißen Frauen verhaftet, mit herabgelassenen Hosen auf der Latrine hockend. All seine Schläue hatte Dietrich Spitz nicht helfen können.
Früh am Morgen des zehnten Januar gestand er unter der Folter seine Vergehen. Nicht nur, dass
Weitere Kostenlose Bücher