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Die Tochter der Seidenweberin

Die Tochter der Seidenweberin

Titel: Die Tochter der Seidenweberin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Niehaus
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welchem Holz jeder Einzelne von ihnen geschnitzt war. Einige seiner Amtskollegen wie Rheidt, Oldendorp und Berchem standen aufrecht und in furchtloser Würde, während andere vor Angst zitterten, die Hände rangen oder gänzlich in sich zusammengesackt waren. Dietrich Spitz, der Fuchs, war gar nicht erst erschienen.
    Gespannte Stille breitete sich im Saal aus, als der Zunftmeister des Wollenamtes das Wort erhob. »Wir erklären Euch alle Eures Amtes für enthoben!«, verkündete er. »Jeder Einzelne von Euch hat sich nun seiner Taten zu verantworten. Rentmeister Johann van Berchem!«
    Aufrecht, mit starrem Blick, trat van Berchem nach vorn.
    »Euch wird zur Last gelegt, in der Rentenkammer schweres Geld angenommen und dafür leichtes ausgegeben zu haben.«
    Mit lautem Murren taten die Zunftgenossen ihren Unmut kund. Eine Münze hatte aus genau der Menge an Silber oder Kupfer zu bestehen, die dem ihr aufgeprägten Wert entsprach. Sie musste folglich ein bestimmtes Gewicht haben. In der Rentkammer waren jedoch Münzen ausgegeben worden, die leichter gewesen waren als vorgeschrieben und somit von geringerem Wert. Was mit dem unterschlagenen Edelmetall geschehen war, hatte sich nicht feststellen lassen. Man konnte es nur vermuten. Das war schlichter Betrug!
    »Habt Ihr Euch dazu zu äußern?«, fragte der Zunftmeister des Wollenamtes streng.
    »Das ist blanker Unsinn!«, wies van Berchem den Vorwurf brüsk zurück. »Wenn so etwas in der Rentkammer geschehen sein soll, dann weiß ich nichts davon. Ich habe mich nicht selbst in die Stube gesetzt und das Geld abgewogen!« Der Hochmut des Rentmeisters schien trotz seiner schmachvollen Rolle als Beschuldigter vor dem Zunftausschuss nicht gelitten zu haben.
    »Vielleicht hättet Ihr gut daran getan! Als Rentmeister seid Ihr dafür verantwortlich, was in der Rentkammer geschieht, ob Ihr selbst vor Ort seid oder nicht!«, belehrte ihn der Zunftmeister, bevor er zum nächsten Punkt auf der Liste der Vergehen kam: »Des Weiteren werfen wir Euch vor, dass Ihr Eurem Neffen Feugeler den Posten des städtischen Schwertträgers zugeschanzt habt.«
    Abermals ertönte ein Murren seitens der Zunftgenossen.
    »Zugeschanzt!«, schnaubte der Rentmeister. »Der Posten des Schwertträgers ist eine unehrliche Stellung. Wenn sich ein ehrlicher Mann dazu bereit erklärt, dieses Amt zu übernehmen, so ist das ein Glück für die Stadt. Wir hätten keinen besseren bekommen können.«
    »Eine unehrliche Stellung, ja«, stimmte der Zunftmeister des Wollenamtes zu. »Aber eine, die mit erheblichen Einkünften versehen ist!«
    »Ist das alles, was Ihr gegen mich vorzubringen habt? Nun, mir scheint, Ihr habt Euer Urteil längst gefällt«, entgegnete van Berchem. »So ist also der Pelz bereits mit mir verkauft!«
    »Nicht wir, sondern die Schöffen werden ihr Urteil über Euch fällen«, berichtigte der Zunftmeister des Wollenamtes, ohne eine Miene zu verziehen. »Bis dahin werdet Ihr in den Turm gebracht.«
    Als Nächsten rief man Bürgermeister Johann von Rheidt auf. Ihm legte man zur Last, er habe sich für gewisse Amtshandlungen oder dafür, dass er Aufträge im Namen der Stadt an bestimmte Leute vergeben hatte, Geld, Lebensmittel und Kleiderstoffe schenken lassen. Die Liste seiner Vergehen war lang, doch anders als van Berchem äußerte er sich zu keinem dieser Vorwürfe.
    »Nun, Ihr werdet dazu schon noch Rede und Antwort stehen, wenn der Greve Euch befragt«, beschied ihm der Zunftmeister des Wollenamtes. »Bis dahin werdet auch Ihr in den Turm verbracht.«
    Nach von Rheidt nahmen sich die Zunftgenossen Johann von Oldendorp vor, den zweiten Bürgermeister. Gegen ihn hatten sie keine konkreten Vergehen vorzubringen. Ganz allgemein beschuldigten sie ihn daher, die Bestimmungen des Verbundbriefes missachtet und sich der Schädigung des gemeinen Gutes schuldig gemacht zu haben.
    In aufrechter Haltung, den Blick aufmerksam auf den Zunftmeister des Wollenamtes gerichtet, lauschte von Oldendorp der Anklage. Seine Miene ließ weder Furcht noch Zorn erkennen. Mit einer kleinen würdevollen Verbeugung nahm er den Spruch hin, als man auch ihm verkündete, man werde ihn in den Turm bringen.
    Mertyn hoffte inständig, auch er selbst würde seine Würde zu wahren vermögen, wenn die Reihe an ihm wäre. Wenn schon einem so rechtschaffenen Mann wie von Oldendorp keine Gerechtigkeit wiederfuhr, dann war dies hier eine Farce, und die Urteile waren längst über sie gesprochen, dachte er und spürte, wie eine

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