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Die Tochter der Seidenweberin

Die Tochter der Seidenweberin

Titel: Die Tochter der Seidenweberin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Niehaus
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Schreck auf. Mertyn setzte ihn auf dem Boden ab, und sogleich flüchtete sich der Junge in Lisbeths Röcke.
    »Nichts, wenn ich es sage!«, versicherte Mertyn und öffnete freimütig das Wams, um dem Kerl zu zeigen, dass er nicht etwa ein Geldsäckel verborgen auf der Haut trug.
    »Es gibt noch andere Verstecke am Leib«, entgegnete der Verschlagene mit einem höhnischen Grinsen und deutete auf Mertyns Beinkleider.
    Gehorsam machte Mertyn sich daran, die Schnürung am Latz seiner Hosen zu öffnen, und zog das Hemd heraus. Die Männer, die sich um sie scharten, hatten offensichtlich ihre Freude an dem Anblick eines feinen Herrn mit heruntergelassener Hose. Sie lachten grölend, was den Verschlagenen dazu veranlasste, seine Suche fortzusetzen.
    »Und was ist hier drunter?« Mit einem raschen Hieb fegte er Mertyn das Barett vom Kopf, das dieser tief in sein Gesicht gezogen hatte.
    »Das ist Ime Hofe!« Einer der Umstehenden hatte Mertyn erkannt.
    »Der Ratsherr Ime Hofe?«, fragte ein anderer.
    »Bist du Ime Hofe?«, fragte nun auch der Verschlagene mit gefährlich leiser Stimme.
    Bitte, bitte leugne es, flehte Lisbeth stumm. Sag, du bist Gott weiß wer.
    Doch Mertyn dachte nicht daran, seinen Namen zu verleugnen. »Ja, der bin ich«, antwortete er fest.
    Lisbeth schloss entsetzt die Augen und schlang die Arme fester um den kleinen Peter. Dies hier würde nicht gut enden.
    »Ich fresse ’nen Besen! Ein echter, lebendiger Ratsherr!« Der Verschlagene konnte seine Freude nicht verbergen. Er verschränkte die Hände auf dem Rücken und spazierte, Mertyn von oben bis unten wie ein seltenes Tier musternd, einmal um ihn herum. »Willst dich wohl verstecken, was? Tja, da hast du Pech gehabt!« Er lachte bösartig und stieß Mertyn grob in die Seite. »Dachtest wohl, so entgehst du deiner gerechten Strafe!«
    So schnell, dass Lisbeth kaum eine Bewegung gesehen hatte, hatte er ein schartiges Messer vom Gürtel gezogen und richtete die breite Klinge auf Mertyns Brust.
    »Lass ihn in Ruhe!«, hob sich eine gebieterische Stimme. Ein kräftiger Kerl mit auffallend vorspringender Oberlippe trat zwischen Mertyn und den Verschlagenen. »Ich kenne ihn. Im Rat gibt es beileibe wenig gute Männer. Doch dieser ist einer davon. Wenn ihr ihn erschlagt, so erwischt ihr den Falschen!«
    Mertyn erkannte den Mann. Es war einer derjenigen, die damals bei der heimlichen Zusammenkunft im Krützchen das Wort geführt hatte.
    Er schien unter den Männern des Haufens große Autorität zu besitzen, denn der Verschlagene knurrte enttäuscht, doch gehorsam steckte er sein Messer zurück in den Gürtel – nicht jedoch, ohne es zuvor ein paar Mal geschickt durch die Luft wirbeln zu lassen.
    Aus den Reihen der Umstehenden ertönten Rufe des Bedauerns, doch auch von ihnen wagte keiner, sich dem Mann mit der vorspringenden Lippe zu widersetzen.
    Dieser bückte sich, hob Mertyns Barett vom Boden auf und reichte dem Ratsherrn seine Kopfbedeckung. »Nichts für ungut«, sagte er. »Jetzt eilt Euch, dass Ihr in Sicherheit kommt.« Grüßend tippte er an den Rand seiner Mütze.
    Wortlos richtete Mertyn seine Kleidung. Dann löste er den kleinen Andreas, der sich weinend an Lisbeths Beine klammerte, aus ihren Rockfalten und hob ihn sich wieder auf die Schultern. Voller Schrecken setzten sie ihren Weg fort, und als sie endlich durch das Torhaus in den Hof der Wolkenburg traten, stiegen Lisbeth vor Erleichterung Tränen in die Augen.
    Sophie stürmte auf Lisbeth zu und warf sich ihr in die Arme, kaum dass sie die Stube betreten hatten. Die Farbe in ihrem Gesicht war mittlerweile verblasst. Nur an Hals und Ohren hielt sich hartnäckig ein grüner Schimmer, doch bis sie und Godert im Frühjahr heiraten würden – wenn sich die Unruhen bis dahin gelegt hatten –, wären auch diese wohl verschwunden.
    Ganz anders fiel die Begrüßung ihres Schwagers aus. »Mit eurem Kommen bringt ihr uns alle in Gefahr«, protestierte Andreas.
    »Wie kannst du so herzlos sein!«, fuhr Agnes ihn entsetzt an, doch Mertyn reagierte nicht auf den Vorwurf seines Schwagers. Wortlos drückte er ihm seinen Patensohn in die Arme und rief, die Verantwortlichkeit des Hausherrn einfach übergehend, die Knechte der Wolkenburg zusammen.
    Mit ruhiger Stimme wies er sie an, das Tor zum Hof von innen mit schweren Balken zu verstärken, und machte sich daran, höchsteigen zu prüfen, ob jeder einzelne Klappladen vor den Fenstern geschlossen und verriegelt war. Dann befahl er allen Bewohnern des

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